BGH: Sonderstatus von Kundenanlagen praktisch abgeschafft

Foto: Fach im Morgengrauen. Durch Neonlichter werden Stromleitungen angedeutet.
  • 11.07.2025
  • Lesezeit 3 Minuten

Viele Stromversorgungsmodelle dürften nach einer BGH-Entscheidung ihre „Kundenanlagen-Privilegien“ verlieren. Als „Verteilernetze“ können Sie künftig nicht mehr von regulatorischen Vorgaben und Netzentgelten befreit werden.

Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 28. November 2024 (C-293/23 – „ENGIE“) die Tür zur Neuauslegung des Begriffs der Kundenanlage weit geöffnet hatte, hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) in seinen veröffentlichten Entscheidungsgründen nachgezogen – mit erheblicher Tragweite für alle Unternehmen, die auf eine regulatorisch privilegierte Stromversorgung in Form einer Kundenanlage gesetzt haben.

Zwar war die Richtung des EuGH-Urteils seit Monaten bekannt, doch erst mit der jetzt vorliegenden Begründung des BGH (Beschluss vom 13. Mai 2024, Az. EnVR 83/20) ist klar, wie streng diese Vorgaben tatsächlich in der nationalen Praxis angewendet werden sollen. Der BGH ordnet sich damit ausdrücklich dem europarechtlichen Verständnis unter und erteilt einer weiten Auslegung des Kundenanlagenbegriffs eine klare Absage.

Was ändert sich nun konkret?

Die Urteilsgründe machen deutlich, dass viele Versorgungsmodelle, die bislang als Kundenanlagen eingeordnet wurden, nunmehr unter die Definition des „Verteilernetzes“ fallen und nicht von der Regulierung ausgenommen werden könnten.

Entscheidendes Kriterium sei die Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung, die zum Verkauf an Großhändler oder Endkunden bestimmt sei. Eine Kundenanlage liege nur dann vor, wenn die Leitungssysteme der Weiterleitung von Elektrizität dienten, die nicht zum Verkauf bestimmt sei.

Die Folgen:

  • Der Anwendungsbereich des Kundenanlagenprivilegs wird deutlich eingeschränkt.
  • Es kommt nicht mehr auf die technischen Details oder Eigentumsverhältnisse an, sondern auf die tatsächliche Nutzung des Leitungssystems zur Versorgung von Dritten zum Zwecke des Verkaufs.
  • Auch kleine, interne Versorgungsstrukturen verlieren ihren privilegierten Status.
  • Zahlreiche bestehende oder geplante Energieprojekte müssen regulatorisch neu bewertet werden.

Insbesondere Industrieunternehmen, Quartiersentwickler und Contractoren, die bislang auf einfache Kundenanlagenmodelle gesetzt haben, müssen jetzt davon ausgehen, dass sie in die Rolle eines Netzbetreibers gedrängt werden – mit allen regulatorischen Pflichten (Unbundling, Netzzugang, Entgeltregulierung, Anzeigepflichten etc.).

Relevanz für die Praxis: Planungsgrundlagen wanken

Die praktischen Auswirkungen sind erheblich: Viele Projekte wurden unter der Prämisse konzipiert, dass es sich bei internen Leitungsnetzen um Kundenanlagen handelt. Diese Grundlage entfällt. Daraus folgen neue Anforderungen an:

  • die Projektstruktur (z. B. Errichtung eigener Netzgesellschaften)
  • Genehmigungs- und Anmeldeverfahren
  • betriebswirtschaftliche Kalkulationen und Vertragsgestaltung

Besonders unter Druck geraten Stadtwerke, Contractoren und Projektentwickler, die bislang über kundenanlagenbasierte Modelle eine flexible dezentrale Energieversorgung realisiert haben. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit solcher Modelle muss nun vielerorts neu bewertet werden.

Fazit: Jetzt ist der Zeitpunkt zum Handeln

Mit der Veröffentlichung der BGH-Urteilsgründe ist klar: Der rechtliche Spielraum für kundenanlagenbasierte Versorgungskonzepte wird erheblich eingeschränkt. Wer derzeit Projekte plant oder bereits Anlagen betreibt, muss zügig prüfen, ob das gewählte Modell noch tragfähig ist – oder ob regulatorische Pflichten greifen, die bisher nicht berücksichtigt wurden.

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Autoren dieses Artikels

Michelle Reddiar, LL.M.

Senior Manager

Rechtsanwältin

Alexandra Sausmekat

Partner

Rechtsanwältin, Steuerberaterin

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