Vergaberecht versus Beihilfenrecht – EU-Kommission präzisiert Anwendungsbereich beider Rechtsgebiete 

  • 25.01.2021
  • Lesezeit 4 Minuten

In der Entscheidung „Kongress- und Hotelzentrum Ingolstadt“ (SA.485882) präzisiert die EU-Kommission die Abgrenzung des Vergabe- vom EU-Beihilfenrecht. Darüber hinaus liefert die Entscheidung weitere Klärungen zum beihilfenrechtlichen Kriterium der „Zwischenstaatlichkeit“.

Hintergrund war die geplante Errichtung eines Hotels und eines Kongresszentrums auf zwei nebeneinanderliegenden Grundstücken in Ingolstadt. Die Stadt veräußerte ein Grundstück für die Errichtung eines Hotels auf Basis eines Bieterverfahrens an eine Immobiliengesellschaft (die das Hotel an den Betreiber Maritim verpachtete). Auf dem Nachbargrundstück errichtete ein städtisches Unternehmen ein Kongresszentrum. Für dessen Betrieb (auf Grundlage eines Pachtvertrags) wurde ein in der regionalen und überregionalen Presse veröffentlichtes Bieterverfahren durchgeführt. Obwohl 14 Unternehmen ihr Interesse bekundet hatten, gab letztlich nur ein Unternehmen (die Maritim-Gruppe) ein Angebot ab und erhielt den Zuschlag. 

Eine Interessengemeinschaft von Wettbewerbern erhob dagegen Beihilfenbeschwerde zur EU-Kommission. Das Bieterverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, weil die Ausschreibung auf die Maritim-Gruppe zugeschnitten gewesen sei. Deshalb sei auch die zu zahlende Pacht nicht marktüblich. Die Behörde hat die Beschwerde zurückgewiesen.

Brisant ist die Entscheidung der EU-Kommission deshalb, weil sie sich bereits 2016 in der Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe zum Verhältnis von Vergabe- und Beihilfenrecht klar positioniert hat. So besteht bei Einhaltung der vergaberechtlichen Vorgaben eine Vermutung auch für die Beihilfenrechtskonformität. Diese Vermutung wird durchbrochen, wenn in einem wettbewerblichen Verfahren nur ein Angebot abgegeben wird. Laut Kommission ist dann in der Regel davon auszugehen, dass dieses nicht dem Marktpreis entspricht, sofern nicht „i) bei der Ausgestaltung des Verfahrens besonders strenge Vorkehrungen getroffen wurden, um echten und wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten, und nicht offensichtlich ist, dass nur ein einziger Wirtschaftsbeteiligter in der Lage sein dürfte, ein glaubwürdiges Angebot einzureichen oder ii) sich die Behörden durch zusätzliche Maßnahmen vergewissern, dass das Ergebnis dem Marktpreis entspricht“ (Rn. 93 der Bekanntmachung).

Im Fall „Ingolstadt“ stellt die Wettbewerbsbehörde nun fest, dass allein die Tatsache, dass nur ein Angebot abgegeben wurde, nicht den Umkehrschluss gestattet, dass die fragliche Maßnahme in jedem Fall nicht marktüblich ist. Vielmehr soll diese Tatsache lediglich zur Folge haben, dass die Marktüblichkeit im Wege einer Einzelfallprüfung zu ermitteln ist. Die EU-Kommission hat die Marktüblichkeit sodann auf Grundlage eines Vergleichs mit der Pacht anderer Betreiber von Konferenzzentren in derselben Region festgestellt. Im Wege dieses „Benchmarkings“ kam sie zu dem Ergebnis, dass die von der Maritim-Gruppe zu zahlende Pacht sogar am oberen Ende der Bandbreite der zum Vergleich herangezogenen Pachtzahlungen liegt und die von zwei anderen vergleichbaren Betreibern zu zahlende Pacht teilweise niedriger sei. Daher konnte eine beihilfenrechtliche Begünstigung der Maritim-Gruppe ausgeschlossen werden. Der mögliche „Mangel“ des durchgeführten Bieterverfahrens wirkte sich somit nicht aus.

Zusätzlich stützte die EU-Kommission ihre Entscheidung auf die fehlende Eignung der (unterstellten) Begünstigung der Maritim-Gruppe zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. Dabei knüpft sie an ihre seit 2015 etablierte Praxis bei „rein lokalen Sachverhalten“ an. 

Hierfür prüft die Behörde, ob der Beihilfeempfänger Waren oder Dienstleistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet in einem Mitgliedstaat anbietet und es unwahrscheinlich ist, dass er Kunden aus anderen Mitgliedstaaten gewinnt. Weiter wird geprüft, ob davon auszugehen ist, dass die Maßnahme mehr als nur marginale Auswirkungen auf grenzüberschreitende Investitionen oder die Niederlassung von Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten haben wird.

Unter Bezugnahme auf frühere Entscheidungen zu Kongresszentren (z.B. „Kongresszentrum Hamburg“, SA.42545) berücksichtigt die Behörde im Fall Ingolstadt vor allem, dass das Kongresszentrum dazu dient, die örtliche Nachfrage nach Veranstaltungsräumlichkeiten abzudecken und es unwahrscheinlich ist, dass die dortigen Veranstaltungen mehr als eine nur vernachlässigbare Zahl internationaler Besucher anziehen werden. Hierfür greift die Behörde auf Indikatoren wie i) die Größe des Kongresszentrums und die vorgehaltenen Nutzflächen/möglichen Sitzplätze, ii) das lokale Einzugsbiet, iii) die mangelnde internationale Attraktivität und fehlende internationale Werbung für das Kongresszentrum, iv) die vorgesehenen Veranstaltungen sowie v) den Vergleich mit dem nationalen Markt für Kongresse in Deutschland zurück.

Die Entscheidung liefert wertvolle Erkenntnisse zur Berücksichtigung von „Benchmarking“ in Fällen, in denen ein wettbewerbliches Verfahren mangels ausreichender Bewerber nicht aussagekräftig ist. Dieser Ansatz kann auch auf „Inhouse-Konstellationen“ übertragen werden. Darüber hinaus enthält die Entscheidung hilfreiche Kriterien zur Beurteilung der möglichen „Zwischenstaatlichkeit“ im Kongressbereich und trägt so zur Verbreiterung der Argumentationsbasis und Erhöhung der Rechtssicherheit bei.

Bei Fragen hierzu stehen Ihnen unsere Vergabe- und Beihilfenrechtsexperten gerne zur Verfügung.

Dieser Beitrag ist in etwas veränderter und gekürzter Form im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, Ausgabe 2/2021, vom 22.01.2021 erschienen.

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Autor dieses Artikels

Dr. Stefan Meßmer

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