LAG urteilt zur Rückforderung von nicht erforderlichen Betriebsratskosten

  • 09.02.2023
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Vom Arbeitgeber getragene Betriebsratskosten, die nicht erforderlich waren, kann der Arbeitgeber nicht vom betroffenen Betriebsratsmitglied zurückfordern. Dies hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit Urteil vom 30.08.2022 (Az.: 9 Sa 945/21) entschieden.

Die betriebsverfassungsrechtlichen Normen zur Kostenübernahme der Betriebsratstätigkeit verdrängen insoweit die Auffangregelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA).

Der Sachverhalt

Der Kläger ist Mitglied des Betriebsrats der Beklagten. Der Betriebsrat beschloss, den Kläger zu Schulungsveranstaltungen für Betriebsräte zu entsenden. Die Beklagte lehnte die Teilnahme des Klägers unter Hinweis auf coronabedingte Reisebeschränkungen ab.

Später beschloss der Betriebsrat erneut, den Kläger zu einer Schulungsveranstaltung zu entsenden. Der Kläger beauftragte einen Rechtsanwalt, der die Beklagte schriftlich aufforderte, diesmal der Teilnahme an der Schulung zuzustimmen. Mit einem weiteren Schreiben stellte der Anwalt des Klägers der Beklagten Anwaltskosten in Höhe von 413,90 Euro netto in Rechnung.

Die Beklagte leitete die Rechnung an den Betriebsrat mit der Bitte weiter, diese vom Kläger persönlich begleichen zu lassen. Dabei wies die Beklagte auch darauf hin, dass ein Beschluss des Betriebsrats über die Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht vorliege. Der Kläger zahlte nicht. Daraufhin beglich die Beklagte die Rechnung.

Mit der Gehaltsabrechnung zog die Beklagte unter der Bezeichnung „Vorschuss Fachanwalt Arbeitsrecht“ einen Nettobetrag von 413,90 Euro vom Nettoentgelt des Klägers ab und zahlte nur den um diesen Betrag verminderten Nettobetrag an den Kläger aus. Der Kläger begehrt die Auszahlung des von seinem Nettoentgelt einbehaltenen Betrages.

Die Rechtslage

Dem Kläger steht ein weiterer Vergütungsanspruch i.H. von 413,90 Euro netto zu, den die Beklagte mit der Gehaltsabrechnung verrechnet hat. Der Beklagten stand keine Gegenforderung zu, mit der Folge, dass der Vergütungsanspruch des Klägers i.H. von 413,90 Euro netto nicht durch Aufrechnung erloschen ist.

Zur Begründung des Urteils im Einzelnen:

  1. Für einen Anspruch der Beklagten aus GoA reicht es aus, dass sie ein "auch fremdes" Geschäft mit Fremdgeschäftsführungswillen geführt hat.

    Die Beklagte ging – als sie die Rechnung für den Kläger bezahlte – davon aus, eine fremde Schuld zu tilgen. Nach den Regeln der GoA hat der Schuldner das Erlangte (die getilgte Schuld) herauszugeben, wenn das Geschäft seinem Interesse oder seinem mutmaßlichen Willen entspricht. Eine Zustimmung des Klägers war nicht erforderlich.

    Der Rechtsanwalt des Klägers machte mit der an die Beklagte gerichteten Rechnung den Freistellungsanspruch des Klägers nach § 40 Abs. 1 BetrVG geltend. Mit dem Beschluss über seine Entsendung erlangt das einzelne Betriebsratsmitglied einen eigenen, vom Betriebsrat abgeleiteten individualrechtlichen Anspruch.

    Ob es sich objektiv um ein fremdes oder um ein eigenes Geschäft handelt, hängt davon ab, ob die Beklagte die Anwaltskosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG als Kosten des Betriebsrats zu tragen hat oder nicht.
     
  2. Der Betriebsrat beurteilt allein, ob eine Maßnahme zur Erfüllung von Betriebsratsaufgaben erforderlich ist. Dabei hat er die berechtigten Interessen der Belegschaft und des Arbeitgebers auf der Grundlage der ihm zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bekannten Umstände gegeneinander abzuwägen.

    Offenbleiben konnte, ob die Beauftragung des Rechtsanwalts durch den Kläger zur Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechte einer Beschlussfassung des Betriebsrats als Gremium bedurfte.

    Eine Beauftragung war jedenfalls nicht erforderlich. Die Beklagte lehnte die ursprüngliche Teilnahme des Klägers wegen der Reisebeschränkungen im Rahmen des ersten Lockdowns während der Corona-Pandemie ab. Nachdem der Betriebsrat erneut beschlossen hatte, den Kläger zur Schulung zu entsenden, erfolgte keine Ablehnung durch den Arbeitgeber. Ein Anwaltsschreiben war nicht nötig.
     
  3. Es widerspräche jedoch den spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 40 Abs. 1, 2 Abs. 1, 78 S. 2 BetrVG, wenn der Arbeitgeber über die GoA auch ungerechtfertigte Betriebsratskosten (hier: Rechtsanwaltskosten) erstatten und im Gegenzug von der Vergütung der Betriebsratsmitglieder abziehen könnte.

    Der Arbeitgeber kann vor der Kostenerstattung prüfen, ob die Voraussetzungen für die Kostenübernahme vorliegen. Die Beklagte wies darauf hin, dass der Kläger mangels eines Betriebsratsbeschlusses die Kosten für die Beauftragung des Rechtsanwalts selbst zu tragen habe.

    Die individualrechtliche Maßnahme der Beklagten kann auch eine Benachteiligung im Sinne des § 78 BetrVG darstellen. Eine solche liegt vor, wenn eine Schlechterstellung gegenüber anderen Arbeitnehmern erfolgt, die nicht durch sachliche oder in der Person des Betroffenen liegende Gründe, sondern durch dessen betriebsverfassungsrechtliche Betätigung veranlasst ist. Ein anderer Arbeitnehmer wäre nicht in der Situation des Klägers, da es sich um Kosten der Betriebsratstätigkeit handelt.

Praxishinweis für Arbeitgeber: Kostenübernahme von Betriebsratstätigkeiten kritisch prüfen

Arbeitgebern empfehlen wir, vor jeder Kostenübernahme im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit kritisch zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten erforderlich waren. Im Falle einer Ablehnung der Kostenübernahme hätte sich der Rechtsanwalt hier an das Betriebsratsmitglied bzw. den Betriebsrat wenden müssen.

Auch die Schulungsinhalte sollten Arbeitgeber stets prüfen. Schulungsveranstaltungen sind nur insoweit erforderlich, als sie den Betriebsrat in die Lage versetzen, seine gesetzlichen Aufgaben wahrzunehmen. Eine Veranstaltung über aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung gehört beispielsweise nicht zu den erforderlichen Grundlagenschulungen. Über die Erforderlichkeit entscheiden die Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren.

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Autor dieses Artikels

Karsten Till

Manager

Rechtsanwalt

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