Wegen Grenzkontrolle zu spät zur Arbeit: Das gilt im Arbeitsrecht

Foto: Zwei Polizisten mit Warnwesten stehen an einer Straße. Es werden Grenzkontrollen durchgeführt. Das ist an Autos und Pylonen im Hintergrund zu erkennen ist.
  • 11.11.2025
  • Lesezeit 6 Minuten

Verspätet am Arbeitsplatz wegen Grenzkontrollen an der deutsch-französischen Grenze? Diese Rechte und Pflichten haben Grenzgänger und ihre Arbeitgeber.

Sowohl Frankreich als auch Deutschland führen an ihren Grenzen seit einiger Zeit wieder Grenzkontrollen durch. Dadurch kommt es vor allem zu Stoßzeiten im Berufsverkehr zu Staus und Verzögerungen, so dass Arbeitnehmer, die im jeweiligen Nachbarland tätig sind (Grenzgänger), nicht immer pünktlich ihren Arbeitsplatz erreichen. 

Welche Konsequenzen das arbeitsrechtlich für Sie haben kann und welche Möglichkeiten Arbeitgeber haben, beleuchten wir nachfolgend nach französischem und nach deutschem Arbeitsrecht. 

Grenzübergang nach Frankreich: Rechtslage nach französischem Recht 

Arbeitnehmer, die in Deutschland wohnen und für einen Arbeitgeber in Frankreich tätig sind, unterliegen in aller Regel den Vorgaben des französischen Arbeitsrechts.  

Erfolgt eine Grenzkontrolle völlig unerwartet und besteht keine Möglichkeit, sie vorherzusehen oder zu umgehen, spricht das französische Arbeitsrecht von einem Fall höherer Gewalt („force majeure“). In einer solchen Situation liegt keine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vor. Eine einmalige und unvorhersehbare Verspätung darf daher nicht zu Sanktionen führen, da die Verspätung weder vermeidbar noch dem Arbeitnehmer zurechenbar ist. Dies gilt auch bei Streiks und Verkehrsunfälle. 

Anders verhält es sich, wenn Grenzkontrollen regelmäßig stattfinden, der Arbeitnehmer dies weiß und die Wahrscheinlichkeit von Verspätungen hoch ist. Dem Arbeitnehmer obliegt es dann entsprechende Vorkehrungen zu treffen (Cass. soc., 15 janv. 2014, n° 12-24.221). Dann können Verspätungen dem Arbeitnehmer zugerechnet werden. 

Maßgeblich bleibt jedoch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit: Zunächst ist zu prüfen, ob die versäumte Arbeitszeit nachgeholt werden kann, etwa am selben Tag, und ob die Verspätung spürbare Auswirkungen auf die Organisation hat. Ist die Nacharbeit möglich und kommt es zu keiner Störung des Betriebsablaufs, rechtfertigt die Situation grundsätzlich keine Sanktion. 

Erst wenn eine Nacharbeit nicht möglich ist oder wenn sich Verspätungen wiederholen und dabei die Organisation tatsächlich beeinträchtigt wird – zum Beispiel durch verpasste interne Besprechungen – kann der Arbeitgeber Sanktionen ergreifen. In Betracht kommt dann eine Kürzung der Vergütung. Darüber hinaus darf der Arbeitgeber disziplinarische Maßnahmen ergreifen: zunächst eine Abmahnung, später gegebenenfalls eine förmliche Aufforderung zur Vertragstreue oder – in gravierenden Fällen – sogar eine vorübergehende Suspendierung. 

Erst wenn diese Maßnahmen erfolglos bleiben und die wiederholten Verspätungen zu einer ernsthaften Beeinträchtigung im Betrieb führen, kann letztlich eine Kündigung in Betracht gezogen werden. 

Grenzübergang nach Deutschland: Rechtslage nach deutschem Recht

Etwas anders stellt sich die Rechtslage für Arbeitnehmer dar, die in Frankreich wohnen und zu ihrem Arbeitsplatz in Deutschland pendeln. Auf sie findet in aller Regel deutsches Arbeitsrecht Anwendung.  

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) trägt der Arbeitnehmer grundsätzlich das Wegerisiko (BAG, Urteil v. 08.09.1982 – 5 AZR 283/80) für Störungen, die die Allgemeinheit betreffen. Das bedeutet, dass Verspätungen, die z. B. durch die Witterung oder durch Staus oder Streiks verursacht sind, grundsätzlich zulasten des Arbeitnehmers gehen. Er ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass er pünktlich zur Arbeit erscheint, muss also z. B. früher zuhause losfahren, wenn er weiß, dass mit Grenzkontrollen und dadurch verursachten Verzögerungen zu rechnen ist. Kommt er dennoch zu spät und holt die verpasste Arbeitszeit nicht nach, steht es dem Arbeitgeber frei, den Lohn entsprechend der Ausfallzeit zu kürzen.  

Hinsichtlich der ausgefallenen Arbeitszeit wird der Arbeitgeber von seiner Pflicht zur Leistung (d. h. zur Lohnzahlung) frei. Das ergibt sich aus der Regelung des § 616 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Kommt der Arbeitnehmer aufgrund von andauernden Grenzkontrollen regelmäßig zu spät, stellt dies einen Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar und kann eine Abmahnung nach sich ziehen, im Wiederholungsfall kann gegebenenfalls auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein. 

Der Arbeitgeber ist nicht generell verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Mitarbeiter die versäumte Arbeitszeit nacharbeiten und dadurch eine Kürzung seines Lohns verhindern kann. Allerdings wird der Arbeitgeber dann, wenn entsprechende organisatorische Maßnahmen, die ein Nachholen der versäumten Arbeitszeit ermöglichen, zumutbar sind (und den Betriebsablauf nicht stören), gehalten sein, sie zu ergreifen. Anders als nach dem französischen Recht besteht dazu aber keine starre Verpflichtung des Arbeitgebers. 

Fazit: Besonderheiten der nationalen Gesetzgebung beachten, Konflikten vorbeugen 

Nach französischem Recht trägt grundsätzlich der Arbeitgeber das Risiko von Verspätungen infolge zufälliger Grenzkontrollen, während nach deutschem Recht dieses Risiko im Grundsatz den Arbeitnehmer trifft. Entsprechend ist der französische Arbeitgeber nicht berechtigt, wegen unvorhersehbarer Grenzkontrollen Lohnkürzungen vorzunehmen oder weitergehende arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Der deutsche Arbeitgeber kann dagegen den Lohn für den durch die Verspätung ausgefallenen Zeitraum grundsätzlich anteilig kürzen und bei wiederholten Verspätungen eine Abmahnung aussprechen, im Einzelfall sogar eine Kündigung aussprechen. 

Anders liegt der Fall, wenn dem Arbeitnehmer die Grenzkontrollen bekannt sind. Trifft er dennoch keine entsprechenden Vorkehrungen und erscheint infolgedessen nicht rechtzeitig zur Arbeit, ist der Arbeitgeber berechtigt, arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. 

Um unnötige Konflikte zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu vermeiden, sind beide Seiten sowohl in Frankreich als auch in Deutschland gut beraten, gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, um Verspätungen infolge von Grenzkontrollen zu vermeiden (z. B. durch vorübergehende Änderung der Arbeitszeit oder durch Vereinbarung von Homeoffice) oder zumindest auszugleichen (z. B. durch flexible Arbeitszeitgestaltung). 

Arbeitnehmer, die sich infolge von Grenzkontrollen verspäten, sollten zudem immer dafür Sorge tragen, dass ihr Arbeitgeber umgehend über die Verspätung informiert wird, damit er mögliche Maßnahmen zur Abwendung etwaiger Nachteile, zum Beispiel im Produktionsablauf, rechtzeitig ergreifen kann. 


Herzlichen Dank an Claire Chevalier  (claire.chevalier@oratio-avocats.com) von unserem französischen Netzwerkpartner Oratio Avocats für die Unterstützung bei der Beitragserstellung.

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Autoren dieses Artikels

Kerstin Weckert

Partner

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Licencié en droit, Mag. iur.

Gabriele Heise

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht

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