Haftungsfallen für Steuerberater bei der einmaligen Steuerermäßigung für Außerordentliche Einkünfte

  • 04.03.2024
  • Lesezeit 6 Minuten

Bankirrtum zu Ihren Gunsten – diese Karte sorgt bei jedem Monopoly-Spieler für Freude und Geld in der Kasse. Aber gilt dies auch für einen Irrtum des Finanzamts zu Gunsten des Steuerpflichtigen?

Die Antwort lautet grundsätzlich: Ja. Der Steuerpflichtige muss das Finanzamt nicht auf einen selbstverschuldeten Irrtum hinweisen oder eine Berichtigungserklärung nach § 153 AO abgeben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn „fehlerfreie Steuererklärungen“ vorliegen, das heißt der Inhalt der Erklärungen vollständig und richtig war und keinen Anlass für den Fehler des Finanzamts gesetzt hat (BFH, Urt. v. 04.12.2012 – VIII R 50/10, BFHE 239, 495, BStBl. 2014, II 222).

Dennoch ist im konkreten Fall stets Vorsicht geboten, denn die unterbliebene Korrektur der fehlerhaften Veranlagung im Wege der Änderung oder des Einspruchs kann sich für den Steuerpflichtigen im Einzelfall als nachteilig erweisen und damit zur Haftung des Steuerberaters führen. 

In einem aktuell vom Landgericht Lübeck entschiedenen Fall (Urt. v. 11.01.2024 – 15 O 72/23) wich die Freude des Steuerpflichtigen, eines Arztes, über die eigenmächtig seitens des Finanzamts gewährte Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 S. 1 EStG zehn Jahre später, als er seine Gemeinschaftspraxis veräußerte und feststellte, dass diese ihm einmalig zustehende Ermäßigung bereits verbraucht war. Hierüber hatte ihn sein Steuerberater offenbar im Rahmen der Beratung mit dem ursprünglichen, vom Finanzamt unrichtig erlassenen Bescheid nicht aufgeklärt. Das Landgericht Lübeck verurteile die Steuerberatungsgesellschaft daher in einem aktuell ergangenen Urteil zur Leistung von Schadenersatz in Höhe von rund 220.0000 Euro.

Rechtlicher Hintergrund – Steuerermäßigung bei Außerordentlichen Einkünften

Das Einkommensteuergesetz sieht für bestimmte außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG (z.B. einmalige Veräußerungsgewinne, Entschädigungszahlungen, Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten) die Anwendung einer Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG (sog. Fünftelregelung) vor. Im Ergebnis führt die Anwendung der Fünftelregelung zu einer Progressionsglättung durch eine Verteilung dieser Einkünfte über fünf Jahre, sodass letztlich der Steuersatz angewendet wird, der entstehen würde, wenn in jedem Veranlagungszeitraum ein Fünftel der außerordentlichen Einkünfte anfallen würde.

Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann im Falle von Veräußerungsgewinnen jedoch alternativ die weitergehende besondere Tarifermäßigung des § 34 Abs. 3 EStG geltend gemacht werden. Diese besondere Steuerermäßigung steht einem Steuerpflichtigen allerdings nur einmal im Leben und nur für einen Veräußerungsvorgang zu (§ 34 Abs. 3 S. 4 und 5 EStG). Weitere Voraussetzung ist insbesondere, dass der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist (§ 34 Abs. 3 S. 1 EStG).

Beratungsfehler des Steuerberaters im Zusammenhang mit irrtümlicher Gewährung der Steuerermäßigung durch das Finanzamt 

Im Urteilsfall hatte das Finanzamt in einem Steuerbescheid ohne Antrag des Steuerpflichtigen fälschlicherweise die besondere Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG angewendet und hierdurch eine zu Gunsten des Arztes niedriger ausfallende Steuernachzahlung festgesetzt. Im Rahmen der Prüfung dieses Bescheides riet der Steuerberater dem Arzt, diesen Bescheid trotz der irrtümlichen Anwendung der besonderen Tarifermäßigung nicht anzufechten und bestandskräftig werden zu lassen, um eine höhere Nachzahlung zu vermeiden. Zwar klärte er den Arzt darüber auf, dass trotz der eigentlich zu Unrecht erfolgten Begünstigung keine Pflicht zur Berichtigung gegenüber dem Finanzamt bestehe, da fehlerfreie Erklärungen vorlagen, er wies den Arzt allerdings nicht darauf hin, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG nur einmal im Leben geltend gemacht werden könne und damit für zukünftige Veräußerungsgewinne nicht mehr zur Verfügung stehe.

Zehn Jahre später beantragte der Arzt die Anwendung des ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG auf die Veräußerung seiner Gemeinschaftspraxis. Das Finanzamt lehnte dies jedoch unter Hinweis auf die bereits erfolgte Nutzung der nur einmal im Leben zu gewährenden Privilegierung ab. Rechtsmittel hiergegen blieben ohne Erfolg. Der Bundesfinanzhof bestätigte schließlich die Ansicht des Finanzamts, dass der Verbrauch der einmaligen Steuerermäßigung auch dann vorliege, wenn diese unrechtmäßig gewährt wurde (BFH, Urt. v. 28.09.2021 – VIII R 2/19, BFHE 274, 443, BStBl. II 2022, 169).

Schadensersatzpflicht der Steuerberatungsgesellschaft 

Vor dem Landgericht Lübeck verlangte der Arzt Schadensersatz von der Steuerberatungsgesellschaft, für die der Steuerberater arbeitete. Der Steuerberater habe ihm empfehlen müssen, gegen den ursprünglichen, irrtümlich ergangenen Bescheid vorzugehen, um die Steuerermäßigung für zukünftige Veräußerungsgeschäfte offen zu halten, die zu einer weit größeren steuerlichen Entlastung führen könnten. Jedenfalls hätte auf diese Möglichkeit explizit hingewiesen werden müssen. 

Der Steuerberater wehrte sich gegen die Schadenersatzforderung mit dem Argument, er habe bis zu der Entscheidung des BFH in der Sache nicht wissen können, dass der ermäßigte Steuersatz auch dann verbraucht sei, wenn dieser gar nicht beantragt wurde. Gerichtsentscheidungen habe es zu dieser Frage bis dahin noch nicht gegeben.

Das Landgericht Lübeck gab jedoch dem Arzt recht. Der Steuerberater habe ihn darauf hinweisen müssen, dass der vergünstigte Steuersatz nur einmal im Leben beansprucht werden kann. Das Gesetz regele dies eindeutig, ohne dass es auf die Hintergründe der Gewährung der Steuerermäßigung ankäme. Wegen dieser klaren Regelung habe der Steuerberater über die Gefahr aufklären müssen, dass die Vergünstigung später verbraucht sein könnte, auch wenn sie gar nicht beantragt war. Da er dies versäumt habe, müsse dem Arzt der dadurch entstandene Steuerschaden im Rahmen der Veräußerung der Gemeinschaftspraxis von rund 220.000 Euro ersetzt werden.

Folgen für die Praxis

Der Urteilsfall verdeutlicht, dass bei der steuerlichen Beratung im Zusammenhang mit der Anfechtung von Steuerbescheiden nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen der Entscheidung in den Blick zu nehmen sind, sondern auch mögliche Fern- und Folgewirkungen. So war die Empfehlung des Steuerberaters, den Steuerbescheid mit der irrtümlich gewährten Steuerermäßigung nicht anzufechten, für sich genommen vorteilhaft für den Mandanten. Nur in Zusammenschau mit der Jahre später erfolgten Praxisveräußerung wirkte sich der Verbrauch des einmaligen Antragsprivilegs wirtschaftlich negativ für den Mandanten aus. Nach der Entscheidung des Landgerichts Lübeck gilt die Aufklärungspflicht sogar dann, wenn die Rechtslage bislang nicht durch die Rechtsprechung des BFH geklärt war. In Anbetracht der komplexen steuerlichen Regelungen führt dies für Mandanten zu einer breiten Angriffsfläche für mögliche Schadensersatzansprüche und Steuerberater haben mögliche Fern- und Folgewirkungen zu prüfen und sollten im Zweifel einen Hinweis dazu in ihre Dokumentation aufnehmen.
 

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Autoren dieses Artikels

Dr. Gertraud Bauer

Partner

Rechtsanwältin

Petra Füllhas, LL.M.

Director

Rechtsanwältin

Benedikt Hoffmann

Director

Steuerberater, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht

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