Wie weit dürfen die Rechte eines Strafrechtsschutzversicherers reichen?

Wie weit dürfen die Rechte eines Strafrechtsschutzversicherers reichen?

Strafrechtsschutzversicherer dürfen Leistungen nicht mit Verweis auf angebliche Pflichtverletzungen verweigern, solange keine Verurteilung vorliegt – das stärkt Versicherte deutlich.

Versicherer versuchen regelmäßig, Leistungen aus der Strafrechtsschutzversicherung mit dem Hinweis auf angeblich wissentliche Pflichtverletzungen zu verweigern – selbst dann, wenn noch keine gerichtliche Verurteilung vorliegt. Gerade bei D&O-Versicherungen mit eingeschlossenem Strafrechtsschutz führt das regelmäßig zu Konflikten zwischen Geschäftsführern und Versicherern.

Eine richtungsweisende Entscheidung, die diese Problematik bis heute maßgeblich prägt, stammt vom Oberlandesgericht Hamm: Mit Beschluss vom 13. Juli 2023 (Az. 20 U 64/22) hat das Gericht klare Grenzen für den Leistungsumfang von Strafrechtsschutzversicherungen gesetzt – und zentrale Rechte von Versicherten gestärkt.

Ein Fall mit Signalwirkung

Der Geschäftsführer eines Unternehmens wurde der Umsatzsteuerhinterziehung in Millionenhöhe beschuldigt. Er bestritt die Vorwürfe. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde zunächst vom Strafgericht abgelehnt. Erst nach einer erfolgreichen Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. 

Im Zuge des Verfahrens wandte sich der Geschäftsführer an seine Strafrechtsschutzversicherung, um die Kosten für seine Verteidigung erstatten zu lassen. Die Versicherung verweigerte trotz anfänglicher Zusage die Übernahme der Verteidigungskosten. Aus Sicht der Versicherung habe der Geschäftsführer eine „wissentliche Pflichtverletzung“ begangen, sodass laut Versicherungsvertrag die Übernahme der Kosten ausscheide. 

Dieser Ausschlussgrund komme aus Sicht der Versicherung auch dann zum Tragen, wenn noch keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt. Die Versicherung versagte daher, auch ohne Entscheidung des Strafgerichts, die Kostenübernahme. Hiergegen klagte der Versicherungsnehmer.

Wie weit dürfen Versicherer im Strafrechtschutz tatsächlich gehen? 

Das OLG Hamm zog klare Grenzen: Die Entscheidung stärkt nicht nur die Rechte von Versicherten, sondern setzt auch Maßstäbe dafür, wie weit Versicherer im Ermittlungs- und Strafverfahren gehen dürfen. Besonders relevant ist dies für Konstellationen, in denen strafrechtliche Vorwürfe im Raum stehen, aber noch keine gerichtliche Entscheidung getroffen wurde.

Keine Leistungskürzung ohne Verurteilung

Das OLG Hamm entschied, dass der Versicherer sich bei einer Strafrechtsschutzdeckung nicht auf einen Ausschluss der Leistung berufen darf, wenn der Versicherte noch nicht rechtskräftig verurteilt wurde. Der Versicherer kann sich nicht allein auf den Umstand stützen, dass eine „wissentliche Pflichtverletzung“ von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird. 
Dies insbesondere dann nicht, wenn der Versicherte die strafrechtlichen Vorwürfe bestreitet und auch das Gericht zunächst die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnte. 

Kein Befragungsrecht durch den Versicherer

Zudem stellte das OLG Hamm klar, dass den Nachforschungsrechten des Versicherers und den Mitwirkungspflichten des Versicherten Grenzen gesetzt sind. Der Versicherte unterliegt vertraglich zwar bestimmten Unterrichtungsobliegenheiten. Diese können aber nicht darauf gerichtet sein, dem Versicherer den Nachweis einer „wissentlichen Pflichtverletzung“, somit den Nachweis eines den Versicherungsschutz ausschließenden Grundes zu ermöglichen. 

Es liefe dem Schweigerecht im Strafverfahren zuwider, wenn sich der Versicherte gegenüber seinem Strafrechtsschutzversicherer vollständig öffnen müsste. Besonders dann, wenn dies allein dem Zweck dient, dem Versicherer die Prüfung des Einwands der Wissentlichkeit zu ermöglichen.

Wenn der Versicherer nur solchen Personen (vorläufigen) Strafrechtsschutz gewähren will, die ihre Wissentlichkeit zu Recht bestreiten – also bei Vorsatzvorwürfen unschuldig sind und freigesprochen würden –, muss dies ausdrücklich aus den Versicherungsbedingungen hervorgehen. Andernfalls kann der Versicherer daraus keine Leistungsvoraussetzung ableiten. Geht es das nicht, ist der Versicherer nicht berechtigt, den Versicherten zu den Anklagevorwürfen „zu vernehmen“. Es genügt insoweit, wenn er weiß, dass der Versicherte die Vorwürfe bestreitet. 

Kein Recht auf Herausgabe der Verteidigerunterlagen

Der Versicherte muss keine vertrauliche Verteidigerkorrespondenz offenlegen. Diese ist geschützt und unterliegt nicht der Herausgabepflicht gegenüber der Versicherung – insbesondere, wenn sie beschlagnahmefähig wäre. 

Kein Anspruch auf Akteneinsicht durch den Versicherer 

Ein weiteres klares Signal: Auch ein Einblick in die Ermittlungsakten steht der Versicherung nicht zu. Der Versicherte hat selbst kein Akteneinsichtsrecht – dieses liegt allein beim Strafverteidiger, der ebenfalls nicht verpflichtet ist, Unterlagen weiterzugeben.

Welche Pflichten hat der Versicherte?

Somit bleibt die Frage, welche Informationen der Versicherte dem Versicherer zur Verfügung stellen muss. In jedem Fall muss sich aus diesen ergeben, dass ein Versicherungsfall vorliegt. Es muss außerdem ersichtlich werden, dass der Versicherte die strafrechtlichen Vorwürfe bestreitet. Außerdem muss der Versicherte dem Versicherer die notwendigen Informationen zur Prüfung der Angemessenheit der Verteidigungskosten zur Verfügung stellen. Es genügt hierfür, wenn der Versicherte die Kosten der Verteidigung dokumentiert und dem Versicherer diese Informationen, bspw. durch Tätigkeitsberichte, zur Verfügung stellt.

Wie wird die Versicherungssumme verteilt? 

Eine weitere wichtige Frage, zu der sich das OLG Hamm zudem am Rande äußerte: Wie ist der begrenzte „Versicherungstopf“ zu verteilen. Gerade in großen Strafverfahren mit mehreren Beschuldigten kann dies zum Streitthema zwischen allen Beteiligten werden. Nach dem OLG Hamm ist die Versicherungssumme nach Köpfen aufzuteilen. Solange die Deckungssumme ausreicht, sind somit alle gleichrangig zu bedienen. Bei einer unzureichenden Summe müssen die Kosten proportional aufgeteilt werden, anstatt eine Rangfolge festzulegen. Diese Regelung zielt darauf ab, eine faire und gerechte Verteilung der Versicherungssumme unter den Anspruchsberechtigten zu gewährleisten.

Fazit: Stärkung der Versichertenrechte 

Das OLG Hamm hat mit seinem Urteil vom 13. Juli 2023 die Rechte von Versicherten gestärkt. Strafrechtsschutzversicherer dürfen nicht eigenmächtig über Schuld oder Vorsatz urteilen, solange keine Verurteilung erfolgt ist.

Geschäftsführer und Unternehmen können sich darauf verlassen, dass der Versicherer ihnen nicht vorgelagert dieselben Fragen stellt wie die Strafjustiz – und ihnen keine Zusammenarbeit „auf Verdacht“ abverlangen darf.
 

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Autoren dieses Artikels

Dominique Helberg, LL.M.

Director

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht

Dr. Rahel Reichold

Partner

Rechtsanwältin

Dr. Franz Bielefeld

Partner

Rechtsanwalt

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