BAG-Urteile zum Urlaubsanspruch: Keine Verjährung und Verfall bei Verletzung der Hinweispflicht

  • 22.12.2022
  • Lesezeit 5 Minuten

Wenig überraschend hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 20.12.2022 im Einklang mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Urlaubsansprüche nur dann nach der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren verjähren, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor ausdrücklich und rechtzeitig auf die offenen Urlaubstage und die Verfallfristen hingewiesen und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Nur beim Verfall wegen Krankheit differenziert das Bundesarbeitsgericht zumindest ein wenig. 

Die Entscheidung zur Verjährung 

Im ersten Fall (Urt. v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20) klagte eine Steuerfachangestellte nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf Abgeltung ihres nicht genommenen Jahresurlaubs aus den Jahren 2013 bis 2017, den sie wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht nehmen konnte. Das hatte der Arbeitgeber ihr auch zuvor schriftlich bestätigt. 

Als die ehemalige Beschäftigte 2018 die Abgeltung des Urlaubs der Vorjahre geltend machte, berief sich ihr Arbeitgeber auf die Verjährung dieser Ansprüche. Allerdings hatte er seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllt und nicht darauf hingewiesen, dass der Urlaub verfallen kann, wenn die Arbeitnehmerin ihn nicht rechtzeitig nimmt.

Die Erfurter Richter setzten die Vorgaben des EuGH (Urt. v. 22.09.2022, Az. C-120/2) um und entschieden, dass die Vorschriften über die Verjährung zwar auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung finden. Allerdings beginne die dreijährige Verjährungsfrist bei einer richtlinienkonformen Auslegung jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst am Ende des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Mitarbeitenden auf den ausstehenden Urlaub sowie auf den drohenden Verfall der Ansprüche hingewiesen hat und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. 

Die Rechtssicherheit, die die Verjährung sicherstellen will, müsse hinter dem Ziel von Urlaub zurückstehen, die Gesundheit von Beschäftigten zu schützen, begründet das BAG. Sonst könnten Arbeitgeber sich schließlich auf ihr eigenes Versäumnis berufen. Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachholt.

Der Arbeitgeber hat die Arbeitnehmerin nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche verfallen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) noch konnte der Beklagte mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs hat die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben. Die Klägerin hat somit Anspruch auf Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus den Jahren bis 2017.

Verfall von Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nach 15 Monaten auch nur noch nach Hinweis

Auch in seinem zweiten Urteil (BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az. 9 AZR 245/19) ist die Hinweis- und Obliegenheitspflicht des Arbeitgebers für den Verfall von Urlaub wegen Krankheit entscheidend.

Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres mit Ablauf des 31.3. des zweiten Folgejahres unter („15-Monatsfrist“). Diese Rechtsprechung hat der Senat in Umsetzung der Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (Az. C-518/20 und C-727) nun weiterentwickelt.

Danach verfällt weiterhin der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.3. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten, also durchgängig wegen Krankheit arbeitsunfähig war. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.

Wenn hingegen der Mitarbeiter – wie hier der Kläger – im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er wegen Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.

Der klagende Fraport-Mitarbeiter, der von Dezember 2014 bis August 2019 aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten und deshalb auch keinen Urlaub nehmen konnte, hat deshalb Anspruch auf seinen Resturlaub aus 2014, weil die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten bis zum 01.12.2014 nicht nachgekommen war, obwohl sie die Möglichkeit hatte.

Praxistipp: Arbeitgeber sollten einmal im Jahr schriftlich über Urlaubsansprüche informieren

Als Folge dieser Entscheidungen können in einem bestehenden Arbeitsverhältnis somit offene Urlaubstage auch nach Jahren in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitgeber bislang seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen ist. Aus den Pressemitteilungen zu den BAG-Entscheidungen ergibt sich leider nicht, wer die Beweislast trägt, dass Urlaub aus den Vorjahren tatsächlich noch offen ist. Offen bleibt auch, ob ehemalige Mitarbeiter finanzielle Abgeltungsansprüche für nicht genommenen Urlaub ggfs. über Jahrzehnte geltend machen können. Dies hängt davon ab, wie das BAG bei den noch anstehenden Urteilsbegründungen die Darlegungs- und Beweislast der offenen Urlaubsansprüche verteilt.

Nach den aktuellen Entscheidungen des EuGH und BAG müssen Arbeitgeber ihren Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten nachkommen, um eine Verjährung oder einen Verfall des Urlaubsanspruchs zu erreichen. Wir empfehlen daher dringend – sofern noch nicht praktiziert – jedes Jahr Schreiben an die Mitarbeiter auszuhändigen, die zum Urlaub nehmen auffordern und auf bestehende Resturlaubsansprüche und drohenden Verfall hinweisen. Nur wer diesen Nachweis erbringt, kann sich als Arbeitgeber auf die Verjährung bzw. den Verfall berufen.

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Autor dieses Artikels

Kerstin Weckert

Partner

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Licencié en droit, Mag. iur.

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