M&A-Risiko: Zusammenschlüsse in Zukunft als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung?

  • 25.10.2022
  • Lesezeit 3 Minuten

In letzter Zeit richteten die europäischen Wettbewerbsbehörden ihren Blick verstärkt auf Zusammenschlüsse marktstarker Unternehmen mit kleineren, aufstrebenden Konkurrenten („Killer Acquisitions“). Solche Merger unterliegen grundsätzlich nicht der EU-Fusionskontrolle. Nach Ansicht der Generalanwältin des Europäischen Gerichtshof (EuGH) können solche Zusammenschlüsse jedoch einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen - und sogar auch noch nach deren Vollzug sanktioniert werden. Somit kommt einer Risikoanalyse hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Rahmen der Due Diligence eine gestiegene Bedeutung zu.

Bislang war bei Zusammenschlüssen stets zu prüfen, ob die Umsatzschwellen für den Anwendungsbereich der EU-Fusionskontrolle oder in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen überschritten waren. War dies nicht der Fall, war eine Transaktion aus kartellrechtlicher Sicht grundsätzlich „unproblematisch“, da in diesem Fall keine kartellrechtlichen Anmelde- und Genehmigungserfordernisse und damit keine Hürden im Hinblick auf den Vollzug solcher Transaktionen bestanden.

In letzter Zeit wurde zunehmend die Fallgestaltung diskutiert, dass Transaktionen, die weder zur EU-Kommission noch bei nationalen Kartellbehörden anmeldepflichtig waren, nach Art. 22 der EG-Fusionskontrollverordnung (FKVO) von der Europäischen Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaats aufgegriffen werden können.

Bis jetzt gab es nur einen einzigen Anwendungsfall hierfür: der Erwerb von GRAIL durch Illumina. 

Nachdem die EU-Fusionskontrolle aufgrund von Art. 21 Abs. 1 FKVO als für Zusammenschlüsse abschließende Regelung verstanden wurde, ging die Praxis davon aus, dass eine weitere kartellrechtliche Prüfung von Zusammenschlüssen als möglicher Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV ausgeschlossen ist (sogenannte „Sperrwirkung“). 

EuGH-Generalanwältin Kokott: Zusammenschlüsse können gegen Art. 102 AEUV verstoßen

Mit der Frage der Sperrwirkung von Art. 21 Abs. 1 FKVO befasst sich aktuell der EuGH. In dem Ausgangsrechtsstreit geht es um die Frage, ob der bereits vollzogene Zusammenschluss von TDF und Itas im französischen Fernsehsektor, auf dem als weiterer Wettbewerber nur TowerCast tätig ist, den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, obwohl keine Anmeldeschwellen überschritten und keine Prüfung durch die Europäische Kommission durch Frankreich beantragt wurde.

Nach Ansicht der Generalanwältin Juliane Kokott liegt keine Sperrwirkung von Art. 21 Abs. 1 FKVO vor. Zusammenschlüsse könnten deshalb auch einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen, jedenfalls dann, wenn Zusammenschlussvorhaben nicht der EU-Fusionskontrolle unterfallen.

Rechtsfolge eines nach vollzogenem Zusammenschluss festgestellten Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung soll nach Ansicht der Generalanwältin Kokott „in der Regel“ keine Rückabwicklung des Zusammenschlusses sein, sondern verhaltensorientierte Abhilfemaßnahmen (z.B. Vergabe von Lizenzen, Pflicht zur Belieferung Dritter) und die Verhängung einer Geldbuße.

Bedeutung für M&A-Transaktionen: Risikoanalyse hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung

Die Schlussanträge der Generalanwältin sind für den EuGH zwar nicht bindend, werden aber regelmäßig bei der Beratungsfindung berücksichtigt. Es bleibt deshalb abzuwarten, inwieweit der EuGH dieser Argumentation folgen wird.

Bis auf Weiteres sollte künftig bei jedem Zusammenschluss, der nicht unter die EU-Fusionskontrolle und nationale Fusionskontrollvorschriften fällt, eine Risikoanalyse hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung vorgenommen werden. Andernfalls könnten empfindliche Bußgelder und im schlimmsten Fall sogar die Rückabwicklung des Zusammenschlusses drohen. Die Checkliste der erforderlichen kartellrechtlichen Prüfungsschritte bei Transaktionen wird somit um ein weiteres „Feld“ erweitert.

Die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott finden Sie hier ==>

 

Artikel teilen:

Autoren dieses Artikels

Dr. Stefan Meßmer

Partner

Rechtsanwalt

Christoph Reinhardt

Manager

Rechtsanwalt

Offene Fragen zu unseren Services?

Jetzt Kontakt aufnehmen

Kontakt aufnehmen