Halbierte Nachtarbeitszuschläge für Schichtarbeiter

  • 11.01.2021
  • Lesezeit 4 Minuten

Sind Nachtschichtarbeitnehmer und gelegentliche Nachtarbeitnehmer miteinander vergleichbar? „Ja, sind sie!“, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 9. Dezember 2020, Az.10 AZR 334/20. Unterschiedliche Entlohnungen für Nachtarbeit sind immer wieder Gegenstand von arbeitsrechtlichen Verfahren. Nun hat das BAG entschieden, dass tarifvertragliche Regelungen, die für Nachtschichtarbeitnehmer einen Nachtarbeitszuschlag vorsehen, der lediglich halb so hoch ist wie der Zuschlag für gelegentliche Nachtarbeit, gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. 

Sachverhalt

In dem vorbezeichneten Verfahren streiten die Parteien über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge für in Nachtschichten geleistete Arbeitsstunden.

Der Kläger leistet bei der Brauerei der Beklagten Schichtarbeit. Der Manteltarifvertrag enthält die Bestimmung, dass Arbeitnehmer in den Brauereien für eine Nachtschichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr einen Zuschlag von brutto 25 % zum Stundenentgelt dazu erhalten. Nachtarbeitnehmer außerhalb eines Schichtsystems (gelegentliche Nachtarbeit) erhalten für denselben Zeitraum einen Zuschlag von brutto 50 % zum Stundenentgelt dazu. 

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte einen Zuschlag von 50 % auch für Nachtschichtarbeitnehmer zu zahlen hat. Er ist der Auffassung, dass die differenzierte Entlohnung gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG verstoße, da es keinen sachlichen Grund gebe, Personen, die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leisten, und Personen, die außerhalb von Schichtarbeit Nachtarbeit leisten, unterschiedlich zu behandeln. Nachtarbeit sei für alle Beschäftigten gleich belastend, sodass es mangels Gewöhnungseffekt an einem Grund für die Ungleichbehandlung fehle. Insbesondere widerspreche die Halbierung des Zuschlags für die Nachtschichtarbeit den gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen. Nach diesen Erkenntnissen seien die gesundheitlichen Gefährdungen durch regelmäßige Nachtarbeit höher als bei nur gelegentlich geleisteter Nachtarbeit. 

Die Beklagte hält die tarifvertragliche Regelung für wirksam, da der höhere Zuschlag die besondere Belastung der unvorbereitet zu Nachtarbeit herangezogenen Arbeitnehmer ausgleiche. Nachtarbeit in Schichtarbeit sei unabhängig von den gesundheitlichen Risiken regelmäßig planbar für die Beschäftigten, während Nachtarbeit außerhalb des Schichtplanes und damit als Ausnahmefall besonders belastend sei. 

Entscheidung des BAG

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das BAG gab nun der Revision des Klägers statt.

Das BAG stellte klar, dass Nachtarbeitnehmer und Nachtschichtarbeitnehmer miteinander vergleichbar seien. Der Manteltarifvertrag rechtfertige die ungleiche Behandlung lediglich damit, dass bei der Durchführung von Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen sei. Dabei könne der höhere Zuschlag für Nachtarbeitnehmer nicht den Zweck haben bzw. erfüllen, ihre Freizeit vor Eingriffen durch den Arbeitgeber zu schützen. Weitere hinreichende sachliche Gründe, die eine andere Behandlung der Nachtschichtarbeitnehmer begründen können, seien aus dem Manteltarifvertrag nicht ersichtlich. Daher sprach das BAG dem Kläger zu, dass er den höheren Zuschlag verlangen kann, um mit den nicht gelegentlichen Nachtarbeitnehmern gleichbehandelt zu werden (sog. Anpassung nach oben).

Fazit

Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, wie stark Grundrechte ein Arbeitsverhältnis prägen können. Haben Arbeitgeber also eine uneinheitliche Entlohnung für Nachtarbeit arbeitsvertraglich geregelt, sind sie dazu gehalten zu überprüfen, ob hinreichende sachliche Gründe im jeweiligen Vertrag vorhanden sind, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Denn in Zukunft ist zu erwarten, dass die Argumentation des BAG in vielen weiteren Verfahren ihren Einschlag finden wird. Dies zeigt sich bereits an der Entscheidung des BAG in dem Parallelverfahren zu dieser Entscheidung (BAG, Urteil vom 9. Dezember 2020 – Az. 10 AZR 335/20). Auch außerhalb von Tarifverträgen ist der Arbeitgeber gem. § 6 Abs. 5 ArbZG in einem Arbeitsvertrag dazu verpflichtet, einen angemessenen Zuschlag für Nachtarbeit zu zahlen. Sofern also eine vergleichbare Gruppe von Arbeitnehmern in Bezug auf den Zuschlag unterschiedlich behandelt werden, lassen sich die genannten Grundsätze auch außerhalb des Tarifvertragsrechts übertragen. 

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