Europaweite Harmonisierung des Insolvenzrechts: EU-Kommission veröffentlicht Richtlinienentwurf 

  • 13.12.2022
  • Lesezeit 5 Minuten

Weitreichende Änderungen im Insolvenzrecht zu Anfechtungen, Vermögensermittlung, Gläubigerausschuss, ein neues „Pre-Pack Verfahren“ bei Unternehmensverkäufen sowie vereinfachte Liquidationsverfahren für Kleinunternehmer vorgesehen.

Bereits seit längerer Zeit verfolgt die EU-Kommission die europaweite Harmonisierung des Insolvenzrechts. Nunmehr wurde am 07.12.2022 der Entwurf einer neuen Richtlinie veröffentlicht. Dieser birgt, sollte er in dieser Fassung verabschiedet werden, eine ganze Reihe neuer Ansätze sowie weitreichende Veränderungen in einzelnen Bereichen. 

Hervorzuheben ist dabei vor allem ein neues sog. „Pre-Pack Verfahren“ zur Vorbereitung eines Unternehmensverkaufs im Vorfeld der Insolvenzverfahren. Der Verkauf würde dann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen. Neu ist dabei, dass betriebsnotwendige Verträge auf den Erwerber ohne Zustimmung des Vertragspartners übergehen. Die Fortgeltung von Vertragsverhältnissen bei einer Investorenlösung konnte bislang nur aufwendig über einen Insolvenzplan oder mit Zustimmung des Vertragspartners erreicht werden. 

Ein weiter Schwerpunkt der geplanten, neuen Regelungen ist die Einführung eines vereinfachten Liquidationsverfahrens für Kleinunternehmer. Dieses soll auch für kleine juristische Personen gelten und grundsätzlich in Eigenverwaltung erfolgen. Hier würden sicherlich auf die Insolvenzgerichte in ganz Europa große Herausforderungen zukommen. 

Die wichtigsten Punkte des Entwurfs der EU-Kommission in der Übersicht:

1. Anfechtungen
Die Insolvenzanfechtung soll europaweit angeglichen werden. Hier wurde sich augenscheinlich sehr an den deutschen Regelungen orientiert. Die Anfechtungsfrist für Leistungen ohne oder ohne gleichwertige Gegenleistung soll jedoch auf ein Jahr begrenzt werden (Artikel 7(1)). In Deutschland lag diese Frist bislang bei vier Jahren (§ 134 InsO).

2. Vermögensermittlung
Insolvenzverwaltern soll die Ermittlung von Vermögensgegenständen erleichtert werden. Hierzu sollen die Insolvenzgerichte Zugang zum nationalen Bankkontenregister erhalten. Die Insolvenzverwalter dürfen somit über die Gerichte Informationen über die Insolvenzschuldner aus dem Register abrufen. (Artikel 13 ff.). Zudem sollen direkte Zugriffsmöglichkeiten der Verwalter auf nationale Vermögensregister wie z.B. Fahrzeug-, Schiffs- und Luftverkehrsfahrzeugregister geschaffen werden (Artikel 17). 

3. Pre-Pack Verfahren
Das sog. Pre-Pack Verfahren soll den Verkauf des Unternehmens im Ganzen erleichtern. So soll der Unternehmensverkauf im Vorfeld der Insolvenzantragsstellung unter Aufsicht des Insolvenzgerichts vorbereitet werden. Hierfür sollen Regelungen für einen Vollstreckungsschutz geschaffen werden (Artikel 23). Der Verkauf würde dann kurz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und somit unter den Regelungen der Insolvenzordnung vollzogen werden (Artikel 19 ff.). Ein sog. „Monitor“ übernimmt dabei die Überwachungsaufgabe. Dieser dokumentiert den Verkaufsprozess und trägt dafür Sorge, dass ein bestmöglicher Käufer im Sinne der Gläubiger gefunden wird. Der Monitor soll in der Regel dann zum Insolvenzverwalter bestellt werden. Daher muss er grundsätzlich geeignet sein, diese Funktion übernehmen zu können (Artikel 22).

Der Entwurf sieht vor, dass betriebsnotwendige Verträge erhalten bleiben und ohne Zustimmung des Vertragspartners auf den Erwerber übergehen (Artikel 27). Nur in Ausnahmefällen soll dies nicht gelten, z. B. bei einem Verkauf an einen direkten Konkurrenten des Vertragspartners.

Der Übernehmer soll das Unternehmen frei von Schulden übernehmen (Artikel 28). Hierbei muss sicherlich das Verhältnis zu § 613a BGB (Betriebsübergang) noch geklärt werden.

4.  Antragspflichten
Organe von juristischen Personen sollen spätestens nach drei Monaten nach Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit zur Insolvenzantragsstellung verpflichtet sein (Artikel 36). Ansonsten soll eine persönliche Haftung für die daraus entstehenden Schäden begründet werden (Artikel 37).

Da es sich hier um Mindestanforderungen handelt, ist nicht davon auszugehen, dass die in Deutschland wesentlich schärferen Verpflichtungen zur Insolvenzantragsstellung gelockert werden.
 
5. Vereinfachtes Liquidationsverfahren für Kleinunternehmer
Die Mitgliedsstaaten sollen ein vereinfachtes Liquidationsverfahren für Kleinunternehmer einführen (Artikel 38 ff.). Dieses soll auch für kleine juristische Personen gelten.

Für diese soll die Überschuldung kein Insolvenzgrund mehr sein (Artikel 38 (2)). Zudem muss ein solches Liquidationsverfahren unabhängig von einer Verfahrenskostendeckung eröffnet werden (Artikel 38 (3)). Die Verfahrenskostenstundung muss demnach auf kleine juristische Personen ausgedehnt werden.

Das Kleinliquidationsverfahren soll dabei als Regeleigeninsolvenzverfahren geführt werden (Artikel 43). Ein Insolvenzverwalter wird nur auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers bestellt, und auch nur dann, wenn dessen Kosten gedeckt sind (Artikel 39). Das Insolvenzgericht kann jedoch einen Insolvenzverwalter bestellen, wenn dies im Einzelfall notwendig erscheint. Die Umstände sollen die Mitgliedsstaaten selbst bestimmen (Artikel 43).

Zustellungen, Tabelle und Vermögensverzeichnisse sollen in diesen Verfahren von den Insolvenzgerichten übernommen werden (Artikel 45, 46 und 48.). Forderungen, die der Schuldner mitteilt, gelten als angemeldet und festgestellt, solange kein Gläubiger widerspricht (Artikel 46).

Anfechtungsansprüche sollen in Liquidationskleinverfahren nicht zwingend geltend gemacht werden. Die Geltendmachung soll den Gläubigern obliegen. Ggf. kann das Gericht aber das Verfahren in ein Regelverfahren überleiten (Artikel 47).

Eine Verwertung des Vermögens des Kleinunternehmens soll über ein neues Onlineversteigerungsportal durch den Schuldner erfolgen (Artikel 49 ff.).

Durch das Kleinliquidationsverfahren sollen zudem Unternehmerschuldner sowie die Gründer, Eigentümer oder Gesellschafter eines unbeschränkt haftenden Schuldners vollständig von Ihren Verpflichtungen befreit werden (Artikel 56). 

6.  Gläubigerausschuss
Die Richtlinie orientiert sich hier bei der Harmonisierung der Regelungen zu Gläubigerausschüssen (Artikel 58 ff.) augenscheinlich an der Insolvenzordnung. Neu wäre die Haftungsbeschränkung der Mitglieder auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz (Artikel 66). Dies soll die Mitwirkung in Gläubigerausschüssen attraktiver machen.

Bislang ("nur") Richtlinienentwurf
Bislang handelt es sich nur um einen Richtlinienentwurf. Ob dieser in der vorliegenden Form verabschiedet wird, kann derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Änderungen ist aber zu rechnen. Danach bedarf es noch der Umsetzung in nationales Recht. Auch hier bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber seine Gestaltungsspielräume nutzt.

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Autor dieses Artikels

Florian Bandrack, LL.M. corp. restruc.

Director

Rechtsanwalt, Insolvenzverwalter, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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