Erfreulich für Arbeitgeber: Annahmeverzug nur bei intensiven Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers

  • 23.01.2023
  • Lesezeit 5 Minuten

Ein Arbeitnehmer machte wegen mehrerer Kündigungen, die sich nachträglich als unwirksam herausgestellt hatten, Annahmeverzugsansprüche für einen Zeitraum von knapp vier Jahren geltend. Für das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg waren in dem Fall die Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers nicht ausreichend, um Ansprüche aus Annahmeverzug gegen den Arbeitgeber zu begründen.

Wenn ein Arbeitnehmer gegen seine Kündigung gerichtlich vorgeht, kann sich diese – oft nach langer Verfahrensdauer - als unwirksam herausstellen. Arbeitgeber laufen dann Gefahr, dem Arbeitnehmer in erheblichem Umfang Lohn nachzahlen zu müssen, da sie sich mit der Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers in Verzug befinden.

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg vom 30. September 2022 (6 Sa 280/22) schränkt diese Gefahr nun zugunsten der Arbeitgeber ein. Das Gericht hat entschieden, dass Arbeitnehmern, die keine hinreichenden Bewerbungsbemühungen an den Tag legen, kein Anspruch aus Annahmeverzug zustehe.

Die Revision gegen diese Entscheidung hat das LAG nicht zugelassen, weil es sich nach Ansicht der Richter um einen Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung handele und sich die Entscheidung im Rahmen der Rechtsprechung des BAG bewege. Ob Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist, ist nicht weiter bekannt.

Die Bundesagentur für Arbeit und das Jobcenter boten dem Arbeitnehmer mehrere Vermittlungsangebote an

Der besagte Arbeitnehmer war während des gesamten Kündigungsschutzprozesses, den er gegen verschiedene Kündigungen geführt hatte, bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet – insgesamt vier Jahre. Nachdem die Kündigungsschutzklage schließlich erfolgreich gewesen war, verlangte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber noch für diese vier Jahre seinen Lohn. Der Arbeitgeber lehnte diesen Anspruch auf Annahmeverzugslohn unter Hinweis auf die Anrechnungsregelung in § 11 Nr. 2 KSchG ab und vertrat die Auffassung, dass der Arbeitnehmer in dem genannten Zeitraum einer anderweitigen Beschäftigung hätte nachgehen können. Er habe es jedoch böswillig unterlassen, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Obwohl er von der Agentur für Arbeit und vom Jobcenter eine Reihe von Vermittlungsangeboten erhalten habe, seien von dem Arbeitnehmer nur wenige oder unzureichende Bewerbungsbemühungen ausgegangen.

Das Urteil: Steht die Anzahl der Bewerbungen im Verhältnis zur Dauer der Arbeitslosigkeit?

Sowohl das Arbeitsgericht Berlin als auch das LAG Berlin-Brandenburg sind der Argumentation des Arbeitgebers gefolgt und haben die Klage des Arbeitnehmers auf Zahlung von Lohn wegen Annahmeverzuges abgewiesen. Zur Begründung hat das LAG ausgeführt, dass die Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers nicht ausreichend gewesen seien. Mit lediglich 103 Bewerbungen in insgesamt 29 Monaten hatte der Arbeitnehmer rechnerisch nicht einmal eine Bewerbung pro Woche geschrieben, was nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend war, um von hinreichenden Bewerbungsbemühungen auszugehen. Da der Arbeitnehmer in dem Zeitraum, für den er Annahmeverzugsansprüche geltend gemacht hat, ohne Arbeit war, hätte er Bewerbungsbemühungen im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle entfalten können und müssen. Diese Voraussetzung erfüllen 103 Bewerbungen in 29 Monaten nach Ansicht des Gerichts nicht. Das Landesarbeitsgericht hat zudem die Qualität der Bewerbungen beanstandet und dies ebenfalls als Indiz für eine böswillige Unterlassung der Annahme einer dem Arbeitnehmer zumutbaren Arbeit gemäß § 11 Nr. 2 KSchG gewertet.

Aus dem Urteil ergeben sich wichtige Folgen für Arbeitgeber

Mit der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg reduziert sich das Risiko für Arbeitgeber deutlich, sich hohen Annahmeverzugsansprüchen bei unwirksamen Kündigungen ausgesetzt zu sehen. Sind die Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers nicht hinreichend, kann er nicht erfolgreich Annahmeverzugsansprüche geltend machen. Bemüht er sich dagegen umfassend um einen neuen Arbeitsplatz, werden diese Bemühungen in der Regel früher oder später zum Erfolg führen, wodurch sich das Risiko des Arbeitgebers deutlich reduziert, in Annahmeverzug zu geraten. Lediglich in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer trotz intensiver Bemühungen keinen neuen Arbeitsplatz findet, bleibt das Risiko für den Arbeitgeber groß, sich Annahmeverzugsansprüchen auszusetzen.

Zu beachten ist, dass die Beantwortung der Frage, ob sich der Arbeitnehmer nach einer Kündigung bei der Arbeitssuche hinreichend um eine neue Stelle bemüht hat, eine Entscheidung im Einzelfall ist. Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer einen anderen Erwerb böswillig unterlassen hat. Es ist Sache des Arbeitgebers darzulegen, dass die Agentur für Arbeit dem klagenden Arbeitnehmer zumutbare Arbeit angeboten und dieser sie böswillig nicht angenommen hat.

Dem Arbeitgeber steht gegen den Arbeitnehmer ein Auskunftsanspruch darüber zu, welche Vermittlungsangebote die Agentur für Arbeit ihm gemacht hat (s. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19). Der Arbeitnehmer muss die einzelnen Vermittlungsvorschläge, die ihm die Agentur für Arbeit und das Jobcenter unterbreitet haben, dem Arbeitgeber auf dessen Verlangen mitteilen und dabei die Tätigkeit, die Arbeitszeit, den Arbeitsort und die Vergütung für den jeweiligen Vermittlungsvorschlag nennen.

Auf Basis dieser Angaben, zu denen der Arbeitnehmer verpflichtet ist, muss der Arbeitgeber die Zumutbarkeit der angebotenen Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens der Bemühungen des Arbeitnehmers, diese zu bekommen, substanziell begründen. Es ist sodann Sache des Arbeitnehmers, dem seinerseits ebenso substanziell entgegenzutreten.

Handlungsempfehlung für Arbeitgeber, um Annahmeverzug zu vermeiden

Jeder Arbeitgeber ist gut beraten, frühzeitig nach Ausspruch einer Kündigung vom Arbeitnehmer umfassend Auskunft über die von der Agentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsangebote zu verlangen. Versucht der Arbeitnehmer, in Vergleichsverhandlungen das Risiko eines Annahmeverzuges als Drohung einzusetzen, um den Arbeitgeber zum Vergleichsabschluss zu drängen und eine möglichst hohe Abfindung zu bekommen, sollte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf seine Verpflichtungen, sich um einen neuen Arbeitsplatz hinreichend zu bemühen, hinweisen und entsprechende Auskunft verlangen.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Instanzgerichte an der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg orientieren und wie gegebenenfalls das Bundesarbeitsgericht entscheidet. Wir halten Sie dazu auf dem Laufenden.

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Autor dieses Artikels

Gabriele Heise

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht

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