Lärm ums Lieferkettengesetz: Berechtigte Kritik oder faule Ausreden?

  • 10.03.2023
  • Lesezeit 8 Minuten

Nach Forderungen aus der Politik werden nun auch kritische Stimmen von Wirtschaftsvertretern laut, die das Lieferkettengesetz anpassen wollen. Wir werfen einen Blick auf die Kritik und liefern eine Checkliste mit allen Sorgfaltspflichten und ihren Umsetzungsfristen.

Eine politische Forderung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion lautet, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für zwei Jahre auszusetzen. FDP-Vize Johannes Vogel fordert zudem, das seit 1. Januar 2023 geltende Lieferkettengesetz frühestens auf den Jahresbeginn 2024 zu verschieben. Daneben werden nun auch die Stimmen einiger Wirtschaftsvertreter laut, die die nunmehr bestehenden Sorgfaltspflichten für Unternehmen aufschieben oder zumindest vereinfachen wollen. 

Das Gesetz verfolge zwar den erstrebenswerten Zweck, die Einhaltung bestimmter Menschenrechtsstandards zu forcieren und umweltbezogene Belastungen zu minimieren. Die Umsetzung in Form des LkSG sei indes eine für Unternehmen „unzumutbare und nicht durchführbare Bürokratiehürde“, so Dirk Jandura, Präsident des BGA. Nicht nur er fordert effektivere, schnellere und vor allem digitale Strukturen für eine leichtere Handhabung zugunsten umsetzungspflichtiger Unternehmen. 

Torsten Safarik, Präsident des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), betont hingegen, dass das BAFA als zuständige Kontrollbehörde zum Stichtag 1. Januar 2023 voll arbeitsfähig sei und im Falle der Verweigerung der normierten Pflichten „hart durchgreifen“ werde. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) weist auf den Koalitionsvertrag hin und schließt eine Verschiebung auf 2024 aus.

Wer ist vom Lieferkettengesetz betroffen?

Das seit Januar 2023 geltende Lieferkettengesetz betrifft alle Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben und mit mindestens 3.000 Mitarbeiter beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 fallen auch Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten unter das neue deutsche Lieferkettengesetz.

Mithin stellt sich die Frage, ob den vom Gesetz betroffenen Unternehmen ein in Krisenzeiten tatsächlich unzumutbarer Pflichtenkatalog auferlegt wird. Oder ob das LkSG in seiner jetzigen Form nicht vielmehr eine Notwendigkeit darstellt, um das Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden entlang der Lieferketten schlussendlich anzugehen und zumindest zu reduzieren.

Kritik aus der Wirtschaft

Kernproblem des Lieferkettengesetzes ist seine Reichweite. Diese schließt nicht nur den eigenen Geschäftsbereich ein, sondern auch unmittelbare – und unter Umständen auch mittelbare – Zulieferer. Die Folge:  Unternehmen mit einem großen Lieferantenkreis sind überfordert, die gesamte Lieferkette zurückzuverfolgen und jeden einzelnen Lieferanten auf die (Nicht-)Beachtung der menschenrechts- und umweltbezogenen Standards zu prüfen. 

Es verwundert deshalb nicht, dass jene Unternehmen laut einer Umfrage der DIHK eine externe Unterstützung für erforderlich halten. Denn nicht jedes in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallende Unternehmen verfügt über die Kapazitäten, umfangreiche Kontrollen und Nachforschungen vor Ort anzustellen. 

Unterlassen sie es jedoch, ihren Pflichten nachzukommen, drohen wiederum einschneidende Sanktionen. Die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des fristgebundenen Pflichtenkatalogs bestehen folglich im zusätzlich anfallenden Aufwand für verpflichtete Unternehmen und der damit einhergehenden Mehrkosten.

Download Checkliste Sorgfaltspflichten und Umsetzungsfristen

Um die Praktikabilität der Regelungen zu gewährleisten, fordert Wolfgang Niedermark, BDI-Hauptgeschäftsführer, eine Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf nur direkte Zulieferer. Unternehmen sollen demnach lediglich für eigene Aktivitäten in der Lieferkette haftbar sein und gerade nicht für das Verhalten unabhängiger Dritter. 

Insbesondere sollen begrenzte Ressourcen und eine geringe Marktmacht mittelständischer Unternehmen berücksichtigt werden. Schließlich wollten die Unternehmen Nachhaltigkeit in den Lieferketten und täten schon heute das ihnen Mögliche, dieser Verantwortung nachzukommen, führt er weiter aus.

Des Weiteren sieht der Mittelstandsverbund aufgrund der weitreichenden Vernetzung der Wirtschaft massive Auswirkungen auch auf kleine und mittelständische Unternehmen voraus, obwohl diese nicht unmittelbar vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst sind. Um in einem international immer schärfer werdenden Wettbewerb bestehen zu können, so Hauptgeschäftsführer Dr. Ludwig Veltmann, brauche es auf europäischer Ebene ein einheitliches Vorgehen. 

Dem schließt sich Dirk Jandura an: Deutschland müsse die Stärke des Standortes wahren und als Exportnation wettbewerbsfähig bleiben, da es nicht allein vom Binnenmarkt leben könne.

Gegenstand heftiger Kritik ist auch der von der BAFA eingeführte Fragenkatalog mit über 400 Antwortoptionen. Um der vorgeschriebenen Berichtspflicht nachzukommen, sind Unternehmen jährlich dazu angehalten, den Fragebogen vollständig zu beantworten, elektronisch beim BAFA einzureichen und auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen. Jandura sieht darin die Schaffung eines „Bürokratiemonsters“ in Krisenzeiten.

Berechtigte Kritik oder faule Ausreden?

Das BAFA räumt ein, dass auch Unternehmen, die (zunächst) nicht in den Anwendungsbereich des Lieferkettengesetzes fallen, durch vertragliche Vereinbarungen mit verpflichteten Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsstandards bestimmt werden könnten. Jedoch bestehe bei kleineren und mittelständischen Unternehmen bereits jetzt eine grundsätzliche, vom LkSG unabhängige Eigenverantwortung für die Erfüllung von Sorgfaltspflichten. Die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), welcher entsprechende Erwartungen an deutsche Unternehmen stellt, gelten bereits und umfassen sämtliche Unternehmen.

Zudem seien die im Lieferkettengesetz normierten Sorgfaltspflichten durch die verpflichteten Unternehmen selbst zu erfüllen und könnten ihrer Natur nach nicht ohne weiteres auf ihre Vertragspartner abgewälzt werden. Dies ist insbesondere bei der scharf kritisierten Berichtspflicht gegenüber der Behörde der Fall. Das LkSG ermächtigt das BAFA nicht dazu, Sanktionen gegenüber kleinen und mittelständischen Unternehmen zu verhängen oder Kontrollmaßnahmen durchzuführen. 

Nichtdestotrotz darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Lieferkettengesetz grundsätzlich nicht betroffene Unternehmen vertraglich und somit indirekt zu größeren Umstrukturierungen der eigenen, unternehmensspezifischen Vorgänge zwingt. Mit Blick auf den deutlich schärferen EU-Richtlinienentwurf über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (EU – 2019/1937) wird es jedoch auch für mittelständische Unternehmen unumstößlich, sich bereits mit dem LkSG auseinanderzusetzen. Daraus können sich sogar Vorteile ergeben.

Denn der Richtlinienentwurf verpflichtet Unternehmen mit bereits 500 Mitarbeitern und einem Jahresnettoumsatz von mindestens 150 Millionen Euro, Sorgfaltspflichten zu beachten. Im sogenannten Risikosektor der Textilbranche und Lebensmittelindustrie beispielsweise soll die EU-Richtlinie schon bei 250 Mitarbeitern und einem Jahresnettoumsatz von 40 Millionen Euro gelten. 

Die Sorgfaltspflichten im Richtlinienentwurf decken sich dabei im Wesentlichen mit denen des Lieferkettengesetzes, sodass mittelständische Unternehmen ihrer europäischen Konkurrenz voraus wären, sobald eine entsprechende EU-Richtlinie in nationales Gesetz umgesetzt wird.

Hinsichtlich des Fragenkatalogs zur Berichtspflicht ist anzumerken, dass die Berichtspflicht durch die Beantwortung nur der Pflichtfragen bereits vollumfänglich erfüllt ist. Freiwillige Angaben – von denen allerdings nur eine verschwindend geringe Anzahl im Fragenkatalog vorgesehen sind – können auch unterlassen werden und führen, wie das BAFA ausdrücklich mitteilt, nicht zu Nachteilen. Nicht zu bestreiten ist, dass der Fragebogen durchaus dazu beitragen wird, dass sich Unternehmen tatsächlich mit menschenrechts- und umweltbezogenen Missständen im eigenen Geschäftsbereich bzw. im Bereich ihrer Lieferanten auseinandersetzen müssen. 

Die Fragen erfüllen damit jedenfalls ihren Zweck, Unternehmen zur Reflektion über das eigene Handeln anzuregen. Die zahlreichen Ankreuzmöglichkeiten könnten betroffenen Unternehmen zudem die Einordnung ihrer Strukturen erleichtern und ihnen eine eigene, im Zweifelsfall aufwändigere Begründung ersparen.

Insgesamt ist dennoch nicht zu leugnen, dass die vorgesehenen Sorgfaltspflichten umfangreich sind und überfordernd wirken können. Hinzu kommt, dass immer dann, wenn die neuen Vorschriften auszuufern drohen, es auf das Ermessen des BAFA ankommt, welches die realen Umstände des Unternehmens „angemessen würdigt“. 

Dieser Ermessensspielraum der Behörde ist zwar wichtig, um sachgerechte Entscheidungen im Einzelfall treffen zu können. Jedoch führt er zu einer großen Rechtsunsicherheit, insbesondere in Bezug auf die Reichweite der zu prüfenden Lieferanten.

Ausblick

Auch wenn die Umstellung eine große Herausforderung darstellen wird, ist festzuhalten, dass es sich beim Lieferkettengesetz immerhin um einen Lösungsansatz des Gesetzgebers handelt, die teils gravierenden Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zu verringern. Die Verfolgung dieses Ziels sollte im Interesse aller in Deutschland ansässigen Unternehmen liegen. Bei Endnutzern baut sich jedenfalls schon ein Nachhaltigkeitsbewusstsein und eine entsprechende Erwartungshaltung gegenüber sämtlichen Unternehmen auf.

Dass betroffene Unternehmen Nachteile im Vergleich zu europäischen und internationalen Konkurrenten erleiden werden, steht außer Frage. Vom Gesetzgeber zusätzlich belastende Vorschriften bringen diesen Umstand mit sich. 

Es kommt jedoch auf das Selbstverständnis deutscher Unternehmen an: Definieren sie sich nach ihrem größtmöglichen Profit, auch wenn sie dabei ausbeuterische Methoden ihrer Hersteller in Kauf nehmen müssen? Oder sehen sie sich vielmehr als eine Art Vorreiter auf europäischer und internationaler Ebene, welcher die einzuhaltenden Standards durch Gespräche und Verhandlungen zu etablieren versucht und schlimmstenfalls die Vertragsbeziehungen abbricht.

Die EU ist jedenfalls mit ihrem Richtlinienentwurf im Begriff, die Vereinheitlichung der Nachhaltigkeitsvorschriften anzutreiben und Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Allerdings sind die Regelungen des EU-Richtlinienentwurfs deutlich umfangreicher als die des deutschen LkSG. 

Insbesondere sehen sie bei Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung eine zivilrechtliche Haftung europäischer Unternehmen vor, neben den ohnehin bestehenden Sanktionen. Eine solche Haftung wurde bislang vom deutschen Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossen.

Nicht zu unterschätzen ist, dass die Debatte um das Lieferkettengesetz ein gesamtgesellschaftliches Projekt behandelt. Denn durch die Anpassung der Lieferbeziehungen steigen beispielsweise auch die Preise für den Endverbraucher. 

Ohnehin erscheint die Abwälzung der Verantwortung von der Politik auf die Wirtschaft und damit auch auf den Endverbraucher fragwürdig. Die Wirtschaft allein ist nicht in der Lage, Veränderungen im Sinne menschenwürdiger und nachhaltiger Prozesse zu etablieren, während europäische Staaten mit bedenklichen Akteuren kooperieren und Ländern mit katastrophalen Menschenrechtsstandards ihre Unterstützung in Form von Entwicklungshilfen und Wettbewerbsvorteilen anbieten.

Vielen Dank für die Mitwirkung am Artikel an Eden Tahmasian, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Praxisgruppe M&A/Allgemeines Handels- und Gesellschaftsrecht

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Autor dieses Artikels

Oliver Köster, LL.M.

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