Europäisches Klimagesetz und „Fit for 55“-Maßnahmenpaket

  • 09.07.2021
  • Lesezeit 8 Minuten

Klimaschutz gewinnt für das Projektgeschäft und die strategische Ausrichtung von Unternehmen enorm an Bedeutung. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht strengere Klimaschutzvorgaben in Aussicht gestellt, medienwirksame Klagen zur Einhaltung von Klimaschutzvorgaben angestrengt oder neue staatliche Lenkungsmaßnahmen diskutiert werden.

Zukünftig wird es nicht nur ein nationales Klimaschutzgesetz geben. Vielmehr ist auch der europäische Gesetzgeber aktiv geworden. Auch wenn das europäische Klimaschutzgesetz noch die formalen Gesetzgebungsprozesse durchlaufen muss, wirft es bereits jetzt seine Schatten voraus.

Was hierdurch im Einzelnen auf uns zu kommt, werden wir erfahren, wenn die Europäische Kommission ihren Aktionsplan "Fit for 55" vorstellt. Die Vorstellung, welche für den 14. Juli 2021 vorgesehen ist, wird Anhaltspunkte dafür liefern, wie die Europäische Union ihr Ziel erreichen möchte, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber dem Referenzjahr 1990 zu senken.

Baker Tilly informiert Sie zukünftig in regelmäßigen Abständen über die aktuellsten Entwicklungen im Bereich des Klimaschutzes. Uns interessiert, was Sie interessiert:

  • Welche Vorgaben gibt es auf europäischer und nationaler Ebene?
  • Wie ist meine Branche davon betroffen?
  • Werden die gesetzlichen Vorgaben von meiner Branche eingehalten? Wie sieht es mit Blick auf die Zukunft aus?
  • Ist mit Verschärfungen der Vorgaben zu rechnen?
  • Welche Chancen und Risiken bestehen für meine Projekte?

Unser Anspruch ist es, Ihnen regelmäßig Antworten zu den vorstehenden Fragen zu liefern.

 

Europäisches Klimagesetz

In der EU soll es zukünftig – ebenso wie bereits in Deutschland – ein eigenes Klimagesetz geben, welches den Pfad zur Minderung der Treibhausgasemissionen bis 2050 vorgeben und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens von 2015 gesetzlich absichern soll. Die EU-Kommission hatte hierzu am 4. März 2020 einen Gesetzesvorschlag (Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1999 - Europäisches Klimagesetz) vorgelegt, der im Nachgang kontrovers diskutiert wurde. 

Bei der Kontroverse ging es insbesondere um die Höhe des Minderungsziels für das Jahr 2030. Die EU-Kommission hatte ursprünglich für das Jahr 2030 eine Minderung der Treibhausgase um 50 % bis 55 % gegenüber dem Referenzjahr 1990 vorgeschlagen. Am 17. September 2020 hat die EU-Kommission ihre Zielsetzung für das Jahr 2030 auf mindestens 55 % angehoben. Das Europäische Parlament wollte das Minderungsziel für das Jahr 2030 sogar auf 60 % anheben. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich am 11. Dezember 2020 hingegen dem Vorschlag der EU-Kommission angeschlossen und sich für ein Minderungsziel von 55 % ausgesprochen. 

Am 5. Mai 2021 konnten die beiden europäischen Gesetzgebungsorgane, der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament, schließlich eine vorläufige Einigung erzielen. Auf Basis dieser Einigung soll das europäische Klimagesetz insbesondere die folgenden Vorgaben enthalten:

  • Klimaneutralität bis zum Jahr 2050, d.h. die im Jahr 2050 ausgestoßenen Treibhausgasemissionen dürfen die Treibhausgasemissionen, welche durch natürliche Senken und durch CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS-Verfahren) abgebaut werden, nicht übersteigen 
  • Nach 2050 sollen mehr Treibhausgasemissionen absorbiert werden als Emissionen ausgestoßen werden (sog. negative Treibhausgasemissionen)
  • Minderungsziel für das Jahr 2030: 55 % weniger Treibhausgasemissionen gegenüber dem Referenzjahr 1990
  • Das Minderungsziel 2030 ist ein Netto-Minderungsziel, d.h. von den ausgestoßenen Treibhausgasen werden die abgebauten Treibhausgase abgezogen. Der maximale Abzugsbetrag wird jedoch für das Jahr 2030 auf maximal 225 Mio. t CO2-Äquivalent begrenzt.
  • 6 Monat nach der ersten globalen Bestandsaufnahme (global stocktake) soll die EU-Kommission ein klimapolitisches Zwischenziel für 2040 vorschlagen. Im Pariser Klimaabkommen 2015 wurde vereinbart, dass regelmäßig globale Bestandsaufnahmen zum Fortschritt der Erreichung der Klimaziele vorgenommen werden müssen.
  • Einrichtung eines europäischen wissenschaftlichen Beirats für Klimaschutz (bestehend aus 15 hochrangigen wissenschaftlichen Sachverständigen unterschiedlicher Nationalitäten). Dem Beirat obliegt die wissenschaftliche Beratung und die Erstellung/Begleitung von Berichten zu EU-Maßnahmen und Klimazielen sowie zu indikativen Treibhausgasbudgets.

Die vorläufige Einigung muss vom Rat der Europäischen Union und vom Europäischen Parlament noch formal gebilligt werden, bevor das Europäische Klimagesetz die weiteren formellen Schritte des Annahmeverfahrens durchlaufen kann.

 

Klimazielplan für 2030 und „Fit for 55“-Maßnahmenpaket

Das Europäische Klimagesetz bildet lediglich den Rahmen. Wie die ambitionierten Vorgaben eingehalten werden sollen, bleibt daher Fachgesetzen, d.h. auf europäischer Ebene Richtlinien und Verordnungen, vorbehalten. Zur Konkretisierung des European Green Deal, welcher am 11. Dezember 2019 durch Ursula von der Leyen verkündet wurde, hat die EU-Kommission am 17. September 2020 neben der Anhebung des Reduktionsziels für das Jahr 2030 auf 55 % (siehe oben) den sog. Klimazielplan für 2030 vorgelegt. Dieser Plan beinhaltet folgende Elemente:

  • Die Mitteilung „Mehr Ehrgeiz für das Klimaziel Europas bis 2030“,
  • eine dazugehörige Folgenabschätzung,
  • eine EU-weite Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne,
  • einen geänderten Vorschlag zum Entwurf des Europäischen Klimagesetzes, um das neue Emissionsreduktionsziel für 2030 aufzunehmen.

In der Folgenabschätzung gelangt die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass die ursprünglich gesteckten Ziele für das Jahr 2030 (Minderung der Treibhausgase bis 2030 auf 40 %, Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch auf 32 %, Absenkung des Energieverbrauchs um 32,5 %) durch die bislang umgesetzten Maßnahmen, insbesondere durch den europäischen Emissionshandel und die Lastenteilungsverordnung im Wesentlichen erreicht werden können. Zugleich führt die EU-Kommission jedoch aus, dass die verschärften Minderungsziele (55 % bis 2030) weitere Anstrengungen erfordern und zu diesem Zweck weitere legislative Maßnahmen erforderlich sind.

Die weiteren Einzelheiten bleiben dem "Fit-for-55"-Maßnahmenpaket vorbehalten, welches die EU-Kommission am 14. Juli 2021 vorstellen möchte. Gegenstand dieses Maßnahmenpakets soll die Überarbeitung und Anpassung von 10 (!) Richtlinien und Verordnungen sein:

  • Anpassung des europäischen Emissionshandels - EU Emissions Trading System (ETS)
  • Anpassung der Lastenteilungsverordnung (Klimaschutzverordnung) - Effort Sharing Regulation (ESR)
  • Anpassung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie - Renewable Energy Directive (RED)
  • Anpassung der Energieeffizienzrichtlinie - Energy Efficiency Directive (EED)
  • Anpassung der Energiesteuerrichtlinie - Energy Tax Directive
  • Anpassung der Verordnung zum Landsektor - Regulation on the inclusion of greenhouse gas emissions and removals from land use, land use change and forestry (LULUCF)
  • Anpassung der Richtlinie über den Aufbau der Ladeinfrastruktur für alternative Antriebe - Directive on deployment of alternative fuels infrastructure
  • Anpassung der Verordnung über CO2-Emissionen für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge - Regulation setting CO2 emission performance standards for new passenger cars and for new light commercial vehicles
  • Einführung eines CO2-Grenzausgleichs - Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) 
  • Reduzierung der Methanemissionen im Energiesektor

Wir werden im Nachgang zur offiziellen Vorstellung dieser Gesetzgebungsmaßnahmen am 14. Juli 2021 über die Einzelheiten berichten.

Zu einem späteren Zeitpunkt (Q4 2021) sollen noch die beiden folgenden Maßnahmen vorgestellt werden:

  • Anpassung der Gebäudeeffizienzrichtlinie - Energy Performance of Buildings Directive (EPBD)
  • Anpassung des dritten Binnenmarktpakets Gas - Third Energy Package for gas (Directive 2009/73/EU and Regulation 715/2009/EU)

Kernelemente des „Fit for 55“-Maßnahmenpakets sollen u.a. folgende Vorgaben sein:

  • Reduzierung der dem europäischen Emissionshandel zur Verfügung stehenden Zertifikate (Erhöhung des Reduktionsfaktors von derzeit 2,2 % auf 4,2 %)
  • Neue Verteilung der Reduzierungsziele in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft zwischen den Mitgliedstaaten unter der Lastenverordnung
  • Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch auf 38 % bis 40 % (anstatt bislang 32 %)
  • Verminderung des Energieverbrauchs auf 36 % bis 39 % (anstatt 32,5 %)

Über die weiteren Einzelheiten werden wir Sie an dieser Stelle regelmäßig unterrichten.

 

Revision des Klimaschutzgesetzes

Auf nationaler Ebene wurde die Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) am 24. Juni 2021 durch den Bundestag beschlossen, sie tritt nach Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Das bestehende nationale Klimaschutzziel wird für das Jahr 2030 auf mindestens 65 Prozent und für das Jahr 2040 auf mindestens 88 Prozent erhöht. Die Gesetzesänderung dient dazu, den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18; 1 BvR 78/20; 1 BvR 96/20; 1 BvR 288/20) umzusetzen. Im Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 mit den Grundrechten unvereinbar ist, soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Regelung über die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt.

Das Bundes-Klimaschutzgesetz enthält als Rahmengesetz verbindliche Minderungsziele der Treibhausgasemissionen und sieht Klimaschutzmaßnahmen für die einzelnen Sektoren vor, um die Klimaschutzziele auch tatsächlich zu erreichen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen obliegt einer Vielzahl von Fachgesetzen. 

In diesem Zusammenhang besonders relevant ist der Europäische Emissionshandel, welcher in Deutschland maßgeblich im Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) umgesetzt wird. Daneben gibt es den nationalen Emissionshandel, welcher mit Wirkung ab dem 01.01.2021 im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) eingeführt wurde. Hiervon erfasst werden insbesondere die Sektoren Wärme und Verkehr. Nicht erfasst werden hingegen die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie und Luftverkehr. Diese Sektoren werden bereits im Rahmen des Europäischen Emissionshandels reguliert.

 

Verbindlichkeit der Klimaschutzvorgaben 

Sowohl der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als auch die Gesetzesänderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes verdeutlichen einmal mehr die Verbindlichkeit der Einhaltung der Klimaschutzvorgaben und sprechen diesen den in Art. 20a GG normierten Verfassungsrang zu.  

Ebenso veranschaulicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Juni 2021 (C-635/18) die weitreichenden Folgen der Missachtung europarechtlicher Verpflichtungen. Im Rahmen der Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission stellte das Gericht einen Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen die europarechtlichen Vorgaben der Luftreinhaltung aufgrund systematischer und anhaltender Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) fest. Bei Unterlassen der Ergreifung geeigneter Maßnahmen drohen neben Auflagen auch finanzielle Sanktionen wie die Festsetzung eines Pauschalbetrages oder die Zahlung von Zwangsgeldern. 

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