Tonnagebesteuerung: Niedersächsisches Finanzgericht widerspricht jahrelanger Finanzauffassung zur inländischen Bereederung

  • 23.06.2021
  • Lesezeit 4 Minuten

Die Finanzverwaltung verlangt seit ihrer ersten Stellungnahme mit BMF-Schreiben vom 12.06.2002 (sog. „Tonnagesteuererlass“, dort Tz. 2)  für die Bejahung einer inländischen Bereederung im Rahmen der Tonnagebesteuerung mit Auslandsbezug eine "fast ausschließliche" Tätigkeit im Inland. Das niedersächsische Finanzgericht sieht dies nun anders und lässt eine "überwiegende" Bereederung im Inland ausreichen. Als Begründung stützt sich das niedersächsische Finanzgericht auf höchstrichterliche sowie EU-rechtliche Erwägungen. Für betroffene Unternehmen empfiehlt es sich daher ggf., bei Ablehnung einer Tonnagebesteuerung aufgrund nicht "fast ausschließlicher" inländischer Bereederungstätigkeit durch das Finanzamt den Weg eines Rechtsbehelfs in Erwägung zu ziehen.

Niedersächsisches Finanzgericht stützt sich auf den BFH und das EU-Recht

Mit Urteil vom 15. Dezember 2020 – den Beteiligten zugestellt im Mai 2021, Az. 12 K 247/17 – hat das Niedersächsische Finanzgericht entgegen der ständigen Auffassung der Finanzbehörde entschieden, dass die Auslegung des Merkmals der Bereederung im Inland im Sinne einer "fast ausschließlich" im Inland zu erfolgenden Bereederung "zu eng" ist. Dies widerspräche dem Zweck der Tonnagebesteuerung, in Form einer Subventionierung den Reedereistandort Deutschland zu fördern und neue Arbeitsplätze in diesem Bereich zu schaffen und zu sichern. Das Niedersächsische Finanzgericht stützt sich dabei auf zwei Argumentationssäulen: Die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Ort der Geschäftsleitung sowie das geltende EU-Recht. Es ist damit insoweit der Klagebegründung der von Baker Tilly vertretenen Klägerin gefolgt.

BFH zum Ort der inländischen Geschäftsleitung verlangt nur ein "überwiegend"

Bereits mit Urteil vom 3. Juli 1997 (IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86) hat der BFH entschieden, dass es für die Frage einer inländischen Geschäftsführung regelmäßig darauf ankommt, wo die Geschäftsführung überwiegend die maßgebenden Entscheidungen trifft. Da sich die typischen Tätigkeiten der Geschäftsleitung und der Bereederung bei einer  Einschiffsgesellschaft weitgehend entsprechen und beides gemäß § 5 a Abs. 1 Satz 1 EStG gleichermaßen "im Inland" zu erfolgen hat, kann das Tatbestandsmerkmal "im Inland" im Zusammenhang mit der Bereederung – so das Niedersächsische Finanzgericht – nur ebenso wie bei der Geschäftsführung zu verstehen sein mit der Folge, dass für Zwecke des § 5 a Abs. 1 Satz 1 EStG eine überwiegende Bereederung im Inland zu fordern ist. Dabei seien alle qualitativen und quantitativen Gesichtspunkte im Einzelfall zu berücksichtigen und zu gewichten. Das Niedersächsische Finanzgericht schafft damit folgerichtig einen Gleichklang dieser Voraussetzung für die inländische Geschäftsführung und die inländische Bereederung.

Geltendes EU-Recht stützt die Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts

Das Niedersächsische Finanzgericht erkennt die europarechtliche Problematik, die mit einer zu engen Auslegung der Voraussetzungen einer "inländischen Bereederung" einhergeht und fällt seine Entscheidung auch unter Berücksichtigung des geltenden EU-Rechts, welches bei Kollision nationalem Recht vorgeht. Die Beschränkung einer inländischen Bereederung dahingehend, dass diese "fast ausschließlich" im Inland zu erfolgen hat, führt laut dem Finanzgericht zu einer unzulässigen Einschränkung europarechtlicher Grundfreiheiten, insbesondere der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 ff. AEUV. Ebenso widerspricht diese Beschränkung einem bereits 1998 ergangenen Schreiben der EU-Kommission, welches ausdrücklich bei Auslandsbezug darauf hinweist, dass eine Bereederung "überwiegend" im Inland erfolgen muss. Das Recht der Europäischen Union stärkt damit die Position von Schifffahrtsunternehmen, die Beschäftigung für deutsche bzw. EU-Seeleute in der Gemeinschaft schaffen bzw. sichern. 

Kritikpunkt: Gewichtung des Niedersächsischen Finanzgerichts im Einzelfall

Ein wichtiger Kritikpunkt an dem Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts bleibt: Das Gericht nimmt zwar eine quantitative und qualitative Gewichtung der einzelnen in Tz. 1 des Tonnagesteuererlass aufgeführten Bereederungsmerkmale vor, gewichtet jedoch nur innerhalb des jeweiligen Merkmals und verkennt deswegen u. E., dass auch die Bereederungsmerkmale untereinander ein sehr unterschiedliches Gewicht haben, was für die Frage der Bereederung im Inland ebenfalls berücksichtigt werden muss und u. E. in der Vergangenheit vom BFH zur Frage des Orts der Geschäftsleitung auch schon so entschieden wurde. Denn die Gewichtung des Finanzgerichts kann im Einzelfall dazu führen, dass Bereederungstätigkeiten, auf denen in der Praxis das Schwergewicht der Bereederung liegt (z. B. der Abschluss von Verträgen, die den Einsatz des Schiffes oder seine Befrachtung betreffen), im Verhältnis zu weniger zentralen Bereederungstätigkeiten (z. B. Rechnungslegung) kein ausreichendes Gewicht beigemessen wird.

Revision beim BFH eingelegt

Die Revision zum Bundesfinanzhof wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen und von Klägerseite eingelegt (BFH IV R 15/21).

Praxishinweis: Einlegen eines Rechtsbehelfs und Ruhenlassen des Verfahrens

Es empfiehlt sich in Fällen, in denen aufgrund eines Auslandsbezugs das entsprechende Finanzamt die Anwendung der Tonnagebesteuerung mangels "fast ausschließlich" im Inland ausgeübter Bereederungstätigkeit versagt, gestützt auf das FG-Urteil den Einzelfall zu prüfen und gegebenenfalls Rechtsbehelf einzulegen sowie das Verfahren ruhen zu lassen, bis der BFH in dieser Sache eine Entscheidung getroffen hat.

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Autor dieses Artikels

Tatjana Müller

Manager

Rechtsanwältin

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