BFH-Beschluss zur Geschäftsführerhaftung bei Überwachungsverschulden

  • 17.03.2023
  • Lesezeit 6 Minuten

Der Bundesfinanzhof hat durch einen aktuellen Beschluss des VII. Senats die Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer aus steuerlicher Sicht präzisiert. Diese unterstreichen einmal mehr den dringend erforderlichen Einsatz von Tax Compliance Management Systemen im Unternehmen.

Am 16. März 2023 hat der BFH den Beschluss des VII. Senats vom 15. November 2022, VII R 23/29, veröffentlicht und darin folgende Leitsätze in Bezug auf die Geschäftsführerhaftung bei Überwachungsverschulden aufgestellt: „Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.“

Welche Pflichten hat ein Geschäftsführer? 

In seinen Entscheidungsgründen hat der erkennende VII. Senat des BFH die Leitsätze noch einmal konkretisiert. Die Ausführungen bergen neuen Gefahren für Geschäftsführer, schneller als sie denken, in die Haftung für Steuerpflichtsverletzungen zu geraten. Die genannten Aufgaben eines Geschäftsführers und Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer dürften den ein oder anderen Geschäftsführer nämlich durchaus überraschen oder zumindest zum Nachdenken anregen. Es wird u. a. auf folgende Punkte hingewiesen:

  • Der Geschäftsführer einer GmbH hat gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG u. a. die Pflicht, Steuererklärungen vollständig, richtig und rechtzeitig abzugeben und unzutreffende Steuererklärungen unverzüglich zu berichtigen (§ 153 AO) sowie dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die er verwaltet (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO). (Rz. 30)
  • Der Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung steht nicht entgegen, dass der Geschäftsführer nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage ist, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen. (vgl. Rz. 32)
  • Von einem gewissenhaften Geschäftsführer wird erwartet, dass er „durch einen Blick in die Buchführung“ in der Lage ist, „beleglose Buchungen“ zu identifizieren. (Rz. 41) 
  • Der Geschäftsführer einer GmbH ist nicht verpflichtet, „die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH selbst zu erledigen. Er ist vielmehr grundsätzlich befugt, die Erledigung anderen Personen zu übertragen. Der Geschäftsführer darf aber nur innerhalb gewisser Grenzen der Redlichkeit seiner Hilfspersonen Vertrauen schenken, wenn er sich nicht dem Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung aussetzen will.“ (Rz. 34; Hervorhebung eingefügt)
  • Der Geschäftsführer ist „verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten überträgt, sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen.“ (Rz. 34; Hervorhebung eingefügt)
  • Der Geschäftsführer „muss sich insbesondere ständig so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw. dass ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird.“ (Rz. 34)
  • „Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen hat der erkennende Senat regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung ("Überwachungsverschulden") eingestuft“. (Rz. 34; Hervorhebung eingefügt)
  • „An die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers müssen […] umso größere Anforderungen gestellt werden, je weniger dieser sich ein auf Tatsachen gegründetes Urteil darüber bilden konnte, ob die für die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft hinzugezogenen Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft bieten“. (Rz. 34 mit weiteren Nachweisen)
  • Wer die Stellung eines Geschäftsführers „formell übernimmt, haftet, sofern ihm auch der Vorwurf persönlichen Verschuldens mindestens vom Grade grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann, nach § 69 AO grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben nachzukommen“. (Rz. 35 mit weiteren Nachweisen)
  • Die Nichtabgabe von Steuererklärungen und die Abgabe unzutreffender Steuererklärungen indiziert ein grob pflichtwidriges, d. h. ein im Sinne von § 69 Satz 1 AO zumindest grob fahrlässiges, Verhalten des Geschäftsführers. (Rz. 39)

Wie vermeidet ein Geschäftsführer Sorgfaltspflichtverletzungen und Haftungsfolgen?

Durch die Implementierung eines angemessenen und wirksamen Steuerkontrollsystems (regelmäßig in der Fachliteratur auch als „Tax Compliance Management System“ bezeichnet) kann ein Geschäftsführer diese Sorgfaltspflichtverletzungen (inkl. Überwachungsverschulden) und hiermit verbundenen Haftungsfolgen vermeiden. 

Gemäß der Legaldefinition in § 38 Abs. 2 EGAO muss ein „Steuerkontrollsystem“ die steuerlichen Risiken laufend abbilden und alle innerbetrieblichen Maßnahmen umfassen, „die gewährleisten, dass die Besteuerungsgrundlagen zutreffend aufgezeichnet und berücksichtigt werden sowie die hierauf entfallenden Steuern fristgerecht und vollständig abgeführt werden“. 

Implementierung eines Tax Compliance Management Systems

Hat der Geschäftsführerein entsprechendes Tax Compliance Management System in seinem Unternehmen eingerichtet, befreit es ihn vom „Vorwurf persönlichen Verschuldens mindestens vom Grade grober Fahrlässigkeit“. So lässt sich eine Haftung des Geschäftsführers nach § 69 AO ausschließen.

Zusätzlich zu dieser sogenannten Exkulpationsfunktion sind mit der Implementierung eines Tax Compliance Management Systems weitere Vorteile verbunden: Soweit im Rahmen einer Außenprüfung eines Steuerpflichtigen die Wirksamkeit eines von ihm eingesetzten Steuerkontrollsystems hinsichtlich der erfassten Steuerarten oder Sachverhalte überprüft wurde und kein oder nur ein unbeachtliches steuerliches Risiko bezüglich der entsprechenden Steuern und gesonderten Feststellungen besteht, kann die Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen auf Antrag für die nächste Außenprüfung Erleichterungen „verbindlich zusagen“. 

Diese verbindliche Zusage von Beschränkungen von Art und Umfang der Ermittlungen steht unter dem Vorbehalt des Widerrufs und setzt voraus, dass keine Änderungen der Verhältnisse beim Steuerpflichtigen eintreten. Der Steuerpflichtige hat Veränderungen des Kontrollsystems zu dokumentieren und sie der Finanzbehörde unverzüglich schriftlich oder elektronisch mitzuteilen. (Vgl. § 38 Abs. 1 EGAO) 

Tax Compliance Management Systeme sind anerkannte Best Practices

Unter Berücksichtigung des Senatsbeschlusses vom 15. November 2022 ist davon auszugehen, dass die Implementierung eines angemessenen und wirksamen Tax Compliance Management Systems weiter zunehmend an Bedeutung gewinnen und – zumindest in Zukunft – zu den expliziten Organisationspflichten der Geschäftsführung gehören wird. Anerkannte Best Practice ist es bereits heute. 

Zudem ist zu beachten, dass für die Steuerpflichtigen bereits nach geltendem Recht umfassende Kontroll- und Dokumentationspflichten bestehen, die die Finanzverwaltung in dem BMF-Schreiben „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“ zusammengefasst hat. Hierzu zählt insbesondere die Erstellung aussagekräftiger Verfahrensdokumentationen (inkl. Beschreibung des internen Kontrollsystems). 

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Autor dieses Artikels

Thomas Klunk

Partner

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater

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