Die Hauptversammlung der Zukunft

  • 11.01.2021
  • Lesezeit 7 Minuten

Virtuelle Hauptversammlung hat in Deutschland Einzug gehalten.

Die Hauptversammlungspraxis in Deutschland im Bereich börsennotierter Aktiengesellschaften war jahrzehntelang durch physische Versammlungen von hunderten oder teilweise tausenden Aktionären bzw. Aktionärsvertretern in Messehallen, Kongresszentren und Hotels geprägt. Die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptversammlung erforderte neben der Einhaltung der rechtlichen Voraussetzungen auch erhebliche organisatorische Kompetenzen, da von Einlass- und Sicherheitskontrollen hin zur Versorgung der Aktionäre bis zur Ermöglichung von Redebeiträgen und Stimmabgaben eine Vielzahl von Gesichtspunkten beachtet werden mussten. Im Zuge der Corona-Krise, die die Abhaltung von großen Hauptversammlungen unmöglich machte, hat sich diese Praxis nunmehr massiv geändert und die virtuelle Hauptversammlung hat in Deutschland Einzug gehalten. Doch wie sieht die Hauptversammlung der Zukunft aus?

Hauptversammlungen in Corona-Zeiten

Durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 ("Covid-19-Gesetz") sind die rechtlichen Grundlagen für die virtuelle Hauptversammlung in Pandemiezeiten geschaffen worden. Die Bayer AG hat am 28. April 2020 die erste auf den neuen gesetzlichen Möglichkeiten basierende Hauptversammlung abgehalten und bis heute sind ihr nahezu alle betroffenen Gesellschaften gefolgt. Da das Gesetz bis zum Ablauf des Jahres 2021 verlängert worden ist, wird es auch in den nächsten Monaten eine Vielzahl von virtuellen Hauptversammlungen geben. Bei Hauptversammlung, die ab dem 28. Februar 2021 stattfinden werden, sind jedoch einige vom Gesetzgeber im Dezember 2020 beschlossene Detailänderungen zu berücksichtigen: ein Fragerecht für die Aktionäre statt einer bloßen Fragemöglichkeit, eine Verlängerung der Einreichungsfrist für Fragen erst einen Tag vor der Hauptversammlung und eine Antragsfiktion (eingereichte Anträge gelten als in der Hauptversammlung gestellt).

Das Covid-19-Gesetz erlaubt die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung (auch ohne entsprechende Satzungsermächtigung) auf der Basis eines Vorstandsbeschlusses mit Zustimmung des Aufsichtsrates. Die Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung, die Stimmrechtsausübung über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie die Vollmachtserteilung, die Fragemöglichkeit im Wege elektronischer Kommunikation und die Möglichkeit zum Widerspruch im Falle der Ausübung des Stimmrechts müssen sichergestellt sein. Anfechtungsmöglichkeiten für die Aktionäre sind sehr weitgehend eingeschränkt worden.

Die professionellen HV-Dienstleister haben in den letzten Monaten dafür gesorgt, dass das Umfeld für virtuelle Hauptversammlungen stabil ist und alle technischen und organisatorischen Voraussetzungen routinemäßig eingehalten werden können. Auch hat sich eine Best Practice für die Durchführung von virtuellen Hauptversammlungen herausgebildet:

  • Die virtuelle Hauptversammlung wurde nahezu ausnahmslos als nicht interaktives Modell, also ohne echte Online-Teilnahme mit Redebeiträgen von Aktionären, durchgeführt.
  • Die Aktionärsportale waren die zentrale Drehscheibe der Aktionärskommunikation, auch in Bezug auf die Einreichung von Fragen und Widersprüchen. Eine Einsicht in das Teilnehmerverzeichnis über das Aktionärsportal wurde in der Regel nicht gewährt.
  • Die Einberufung der Hauptversammlung erfolgte überwiegend unter Zugrundelegung des üblichen aktienrechtlichen Fristenregimes, also nicht mit den im Covid-19-Gesetz vorgesehenen verkürzten Fristen.
  • Die meisten Gesellschaften boten sowohl die Briefwahl als auch die Bevollmächtigung von Stimmrechtsvertretern an. 
  • Das Recht zur Befristung des Fragerechts (Übersendung an die Gesellschaft bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung) wurde unterschiedlich gehandhabt, wobei ein Trend erkennbar ist, die Frist eher kurzzuhalten. Für Hauptversammlungen ab dem 28. Februar 2021 gilt nunmehr eine verkürzte Frist von einem Tag vor der Hauptversammlung. Die meisten Gesellschaften beantworteten alle gestellten Fragen, wenn auch oftmals nach Fragekomplexen zusammengefasst. Diese Vorgehensweise passt auch zur neuen Gesetzeslage ab dem 28. Februar 2021, wenn statt einer bloßen Fragemöglichkeit ein Fragerecht der Aktionäre bestehen wird.
  • Um die Fragestellung zu vereinfachen, stellten Gesellschaften ihren Aktionären vermehrt bereits im Vorfeld weitergehende Informationen zur Verfügung, insbesondere durch eine Vorabbereitstellung der Rede des Vorstandsvorsitzenden und ggf. der Rede des Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. zumindest deren Kernaussagen.
  • Neben der Anwesenheit des Vorstandsvorsitzenden und des Finanzvorstands stellten die meisten Gesellschaften, sofern es die Corona-Lage zuließ, auch die persönliche Teilnahme der anderen Vorstandsmitglieder sicher. Auch der Aufsichtsratsvorsitzende war zumeist vor Ort, die anderen Mitglieder des Aufsichtsrates wurden oftmals über Bild- und Tonübertragung zugeschaltet. Ebenfalls vor Ort war der beurkundende Notar, Mitarbeiter von HV-Dienstleistern und ein zumeist kleiner Expertenkreis, wobei die Gesellschaften im Vorfeld ein Hygienekonzept erarbeiteten. 
  • Bei der Stimmenauszählung wurde das Additionsverfahren angewandt.
  • Die Behandlung der Gegenanträge und Wahlvorschläge von Aktionären in der Hauptversammlung variierte bei den Gesellschaften. Teilweise wurden diese, sofern der Antragsteller sich ordnungsgemäß zur Hauptversammlung angemeldet hatte, als in der Hauptversammlung gestellt betrachtet, teilweise wurden sie zwar veröffentlicht, aber in der Hauptversammlung nicht behandelt. Für Hauptversammlungen ab dem 28. Februar 2021 wird jedoch gelten, dass Gegenanträge und Wahlvorschläge, die nach den §§ 126, 127 AktG ordnungsgemäß und rechtzeitig übermitteln worden sind, so zu behandeln sind, als wären sie in der Versammlung selbst gestellt worden.
  • Die Übertragung der Hauptversammlung ist in den letzten Monaten immer professioneller geworden. So werden Bilder- oder Filmloops in HV-Unterbrechungen eingespielt, Kamerafahrten zur Auflockerung der Übertragung eingebaut und sogar Moderatoren eingesetzt. 

Zusammenfassend war die HV-Saison 2020 für die börsennotierten Gesellschaften in Deutschland ein Erfolg. Trotz der Corona-Situation konnten die Hauptversammlungen rechtssicher und sehr professionell, in den meisten Fällen innerhalb von zwei bis drei Stunden, durchgeführt werden. Die im Vorfeld befürchteten „Fragenexplosionen“ oder Klagewellen blieben aus.

Für die HV-Saison 2021 ist nach der Verlängerung des Covid-19-Gesetzes zu erwarten, dass die meisten börsennotierten Gesellschaften wiederum von der Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung Gebrauch machen werden, sofern sich die Corona-Lage nicht wider Erwarten grundlegend entspannen sollte. Die Gesellschaften werden an der Best Practice aus der HV-Saison 2020 festhalten und diese weiterentwickeln. Es ist zudem zu erwarten, dass mehr Interaktivität mit den Aktionären erfolgen wird und einige Gesellschaften (ohne Rechtspflicht hierzu) sogar dazu übergehen werden, die Fragestellung in der Hauptversammlung zu ermöglichen.

Hauptversammlungen ab 2022

Die Zukunft der Hauptversammlung ab der Saison 2022 ist derzeit offen. Abhängig vom weiteren Verlauf der Corona-Krise mag es sein, dass es weitere gesetzgeberische Erleichterungen für virtuelle Hauptversammlungen geben wird. Zudem ist damit zu rechnen, dass viele Gesellschaften, soweit noch nicht geschehen, in der HV-Saison 2021 auch Satzungsklauseln verabschieden werden, um die Hauptversammlung in digitalisierter Form grundsätzlich zu erleichtern. Bleiben jedoch gesetzgeberische Maßnahmen auch angesichts des Wahljahres 2021 aus, fällt die HV-Praxis allerdings wieder auf den Rechtszustand vor der Coronakrise zurück. In diesem Fall würden die altbekannten Präsenzhauptversammlungen wieder dominieren. 

Allerdings hat bereits eine Diskussion eingesetzt, wie die HV-Praxis der Zukunft aussehen soll: präsent, virtuell oder hybrid. Viele Aktionärsvereinigungen würden ein hybrides Modell, also eine physische Hauptversammlung kombiniert mit einer Online-Hauptversammlung (mit Rede-, Frage-, Antrags- und Stimmrechten im Internet) begrüßen. Viele börsennotierte Emittenten sehen dies jedoch angesichts möglicherweise höherer Anfechtungsrisiken und zusätzlicher Kosten kritisch. Hier wird die weitere Diskussion abzuwarten sein.

Vorzugswürdig wäre ein "großer Wurf" des Gesetzgebers. Die Modernisierung des HV-Rechts ist einerseits längst überfällig, sodass viele Elemente, die sich in der virtuellen HV-Praxis bewährt haben, weitergeführt werden sollten. Andererseits krankt die bisherige HV-Praxis an der international unüblichen extensiven Ausübung von Aktionärsrechten in langen Redebeiträgen und Katalogen von (Detail-)Fragen und an den hohen Anfechtungsrisiken für die Gesellschaften. Aus diesen Gründen sollten zum einen Aktionärsrechte auch im Vorfeld der Hauptversammlung gewährt werden, beispielsweise durch eine weitgehende Vorverlegung des Q&A-Prozesses und zum anderen sollten die Aktionärsrechte in der Hauptversammlung beispielsweise durch Rede- und Fragebegrenzungen (ggf. auch unter Gewichtung der Höhe der Beteiligung an der Gesellschaft) beschränkt werden. Flankiert mit einer Reform des Anfechtungsrechts (beispielsweise durch Einführung von bestimmten Quoren oder weiteren Voraussetzungen) würde dann eine gute Basis bestehen, die HV-Praxis umfassend zu modernisieren und die Durchführung von zeitgemäßen Hauptversammlungen auf rechtssicherer Basis zu gewährleisten. 

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Autor dieses Artikels

Dr. Ralf Ek, LL.M.

Partner

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Advokat (Schweden)

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