Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Strafrechtliche Vermögensabschöpfung trotz Verfolgungsverjährung zulässig!

Recht

Seit einer Reform des Strafrechts 2017 können Gewinne aus rechtswidrigen Taten abgeschöpft werden, obwohl die strafrechtliche Verfolgung der Tat wegen Verjährung ausgeschlossen ist. Das gilt insbesondere auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten der Reform begangen wurden. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat nun entschieden, dass diese Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist (2 BvL 8/19). Welche Auswirkungen hat dies auf die Praxis?

Frühere Rechtslage

Bis zur Einführung der aktuellen Regelungen zur Vermögensabschöpfung war die Abschöpfung von Taterträgen (früher als „Verfall“ bezeichnet) bei Verfolgungsverjährung der zugrundeliegenden Straftat weitgehend ausgeschlossen. 

Änderung durch Reform der Vermögensabschöpfung

Mit dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 erklärte es der Gesetzgeber für zulässig, Erträge aus rechtswidrigen Taten einzuziehen, obwohl die Erwerbstat wegen Verjährung strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden kann. Die Einziehung von Taterträgen ist nunmehr von der Verjährung der Erwerbstat entkoppelt. Stattdessen wird die Einziehung einer eigenständigen Verjährung unterworfen. Das Gericht ordnet die Einziehung selbstständig an, wenn wegen der Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. 

Art. 316h Satz 1 EGStGB sieht vor, dass die selbstständige Einziehung von Taterträgen auch dann angeordnet werden kann, wenn nach dem Inkrafttreten der Neuregelung zum 1. Juli 2017 über Taten entschieden wird, die vor diesem Zeitpunkt begangen wurden. Die Regelung erfasst auch Fälle, bei denen strafrechtliche Ahndung der Erwerbstat bereits vor dem 1. Juli 2017 verjährt war.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Der Zweite Senat hält Art. 316h Satz 1 EGStGB für mit dem Grundgesetz vereinbar. Insbesondere bestehe kein Verstoß gegen das strafrechtliche Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG. Demnach kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit vor Tatbegehung hinreichend gesetzlich bestimmt war.

Die Vermögensabschöpfung ist jedoch nach Ansicht des Zweiten Senats keine Strafe iSd Art. 103 Abs. 2 GG

Bereits der Verfall nach früherer Rechtslage hatte keinen straf- oder strafähnlichen Charakter. Ziel des Verfalls war nicht die Bestrafung, sondern die Beseitigung eines Vorteils, dessen Verbleib den Täter zu weiteren Taten hätte verlocken können. Durch die Reform sollte der Charakter der Vermögensabschöpfung nicht verändert werden.

Das Bundesverfassungsgericht hält Art. 316h Satz 1 EGStGB mit den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für vereinbar. Zwar handelt es sich bei der Einziehung von Taterträgen aus verjährten Erwerbstaten um eine „echte Rückwirkung“ (Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Diese ist aber ausnahmsweise durch überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt. Durch die Vermögensabschöpfung soll sowohl dem Straftäter als auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt werden, dass eine strafrechtswidrige Vermögensmehrung von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird. Die Vermögensmehrung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Betroffenen sind daher nicht schutzwürdig. Dies gilt auch für Drittbereicherte, es sei denn, dass diese gutgläubig eigene Dispositionen im Vertrauen auf die Beständigkeit seines Vermögenserwerbs getroffen haben. 

Auswirkungen für die Praxis

§ 76b Abs. 1 StGB sieht für die selbstständige Einziehung von Taterträgen eine Verjährungsfrist von 30 Jahren vor. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt nun die bestehende Rechtslage. Demnach kann rückwirkend 30 Jahre lang Vermögen, das aus rechtswidrigen Taten stammt, abgeschöpft werden, selbst wenn die zugrundeliegende Straftat bereits verjährt ist.

Ein „Lichtblick“ für Betroffene stellt die Regelung des § 73e Abs. 1 StGB dar. Hiernach ist die Einziehung ausgeschlossen, wenn der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist. Ein Erlöschen kommt etwa bei Erfüllung des zugrundeliegenden zivilrechtlichen Anspruchs durch Schadensersatzzahlung in Betracht. 

Besonderheiten im Steuerrecht

Besonderheiten gelten allerdings im Steuerrecht. Zwar führt die Festsetzungsverjährung im Steuerrecht nach § 47 AO grundsätzlich zu einem Erlöschen des Anspruchs. Nach der Neuregelung des § 73e Abs. 1 S. 2 StGB ist das Erlöschen des Anspruchs durch Festsetzungsverjährung jedoch kein Hinderungsgrund für eine Einziehung. Die Regelung ersetzt den am 1. Juli 2020 eingeführten und am 29. Dezember 2020 wieder aufgehobenen § 375a AO.

Zusätzlich ordnet Art. 316j EGStGB für Fälle der Verkürzung von Steuern in großem Ausmaß die Geltung des § 73e Abs 1 S. 2 StGB rückwirkend an. In diesen Konstellationen kommt es somit zu einer „doppelten“ Rückwirkung: zum einen ist die selbstständige Einziehung auch für strafrechtlich verjährte Taten möglich. Zum anderen führt die steuerrechtliche Festsetzungsverjährung nicht, wie vor der Einführung des § 73e Abs. 1 S. 2 StGB bzw. § 375a AO, zu einem Ausschluss der Einziehung. 

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Dr. Rahel Reichold erstellt.

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