Durch Delegation erhalten eine Vielzahl von Personen Entscheidungsbefugnisse, was vor allem eine Dezentralisierung der operativen unternehmerischen Entscheidungen bedeutet: Es entsteht ein erhöhter Bedarf an Koordination, welchem nur durch entsprechende Organisationsmodelle begegnet werden kann. Doch werden in diesem Zusammenhang auch Grenzen sichtbar: Unternehmen sind mannigfaltigen externen sowie internen Faktoren (Branche, nationale bzw. internationale Ausrichtung, Humankapital) unterworfen, weswegen die jeweilige unternehmensinterne Organisationsform und die implementierten Strukturen immer auch ein Abbild der sehr unternehmensspezifischen Bedürfnisse sind. Dies bedeutet auch, dass je umfangreicher die Prozesslandschaft ist, desto umfassender die Organisations- und Aufsichtspflichten der Unternehmensleitung sind. Daneben steigt auf einer nächsten Ebene die Verantwortung für die an betrieblichen Prozessen beteiligten Führungskräfte. Um neben der Erfüllung all jener Aufgaben und Verpflichtungen, die eine (Geschäfts-)Leitungstätigkeit mit sich bringen, im Arbeitsalltag handlungsfähig zu bleiben, ist eine entsprechende Delegation unumgänglich.
Haftungsrisiken
Die Delegation von Aufgaben als spezifische Arbeitsteilung, bei der die Verantwortung beim Delegierenden verbleibt, aber die Handlungsverantwortung abgegeben wird, bedarf in besonderem Maße geeigneter Organisations- und Aufsichtsmaßnahmen: Zentraler Punkt ist hierbei die Sicherstellung der Einhaltung sämtlicher rechtlicher Bestimmungen in allen Unternehmensbereichen, insbesondere die Vermeidung etwaiger Haftungsrisiken, wie strafrechtlicher sowie zivilrechtlicher (Schadensersatz-)Risken. Die Pflicht der Unternehmensleitung wandelt sich im Rahmen der Delegation in eine umfassende Aufsichts- bzw. Überwachungspflicht: Eine der großen Herausforderungen für die Unternehmensleitung und für Führungskräfte ist es daher, abstrakte rechtliche Vorschriften in explizite Aufgaben umzuwandeln sowie diese an geeignete Mitarbeiter weiter zu delegieren. Zur Verantwortlichkeit des Delegierenden zählt dabei auch die Bestimmung des Ausmaßes der Delegation, die Auswahl sowie Kontrolle des Delegationsempfängers sowie die klare Formulierung der Aufgabe – die Verantwortung sowie die Kontrollfunktion verbleibt jedoch in jedem Fall beim Delegierenden.
Horizontale vs. vertikale Delegation
Grundsätzlich ist zwischen zwei Formen von Übertragungswegen zu unterscheiden:
Bei der horizontalen Delegation handelt es sich um eine Form der Aufgabenverteilung, bei welcher Tätigkeiten an Personen delegiert werden, die auf derselben Hierarchiestufe operieren. Beispielhaft hierfür sind Fälle, in denen die Geschäftsleitung aus mehreren Personen besteht und die Aufgabenverteilung horizontal an einzelne Mitglieder der Unternehmensleitung erfolgt; wodurch sich zwar das Haftungsrisiko der anderen Geschäftsführungsmitglieder verringert, eine Kontroll- und Aufsichtspflicht allerdings für das Gesamtorgan bestehen bleibt, zumal die Geschäftsleitung ohnehin zunächst einer gesamtschuldnerischen Haftung unterliegt.
Die Übertragung von Aufgaben an nachgeordnete Führungskräfte (vertikale Delegation) ist grundsätzlich immer dann möglich, wenn es sich um Pflichten handelt, die nicht zwingend von der Geschäftsleitung erfüllt werden müssen. Beispielsweise können jedoch aufgrund gesetzlicher Regelungen, die dem Leitungsorgan obliegende Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses, zur Insolvenzantragstellung oder gewisse Meldepflichten gegenüber dem Handelsregister nicht einfach auf Führungskräfte oder Beauftragte, wie den Chief Compliance Officer, übertragen werden.
Hingegen kann beispielhaft die Errichtung eines Risikomanagementsystems wirksam auf nachgeordnete Führungskräfte delegiert werden, die Restverantwortung verbleibt jedoch stets bei den Leitungsorganen. Die allgemeine Überwachungspflicht, aus der diese Pflicht erwächst, bleibt folglich „Chefsache“ und im Aufgabenbereich der Geschäftsleitung. Unter der Prämisse der zuvor dargestellten Grundsätze der vertikalen Pflichtendelegation können – besonders häufig in kleinen bis mittleren Unternehmen – Aufgaben ferner auf externe Dritte übertragen werden. Schließlich können Führungskräfte wiederum selbst Aufgaben an einzelne untergeordnete Mitarbeiter delegieren. Auch hier gelten gewisse Ausnahmen: Führungsaufgaben, wie zum Beispiel Mitarbeitergespräche, sind zwingend den Führungskräften und Vorgesetzten vorbehalten und können folglich nicht einfach an Mitarbeiter „wegdelegiert“ werden.
Verantwortung im Unternehmen
Während die Unternehmensleitung Organisations-, Aufsichts- sowie Überwachungspflichten unterliegt, haben Führungskräfte auf nachgelagerter Delegationsebene Auswahl-, Anweisungs- und Aufsichtspflichten zu beachten. Für Mitarbeiter, auf die bestimmte Pflichten übertragen werden, bestehen Durchführungspflichten.
Wirksame Delegation setzt dabei zwingend die Auswahl der für die jeweilige zu übertragende Aufgabe geeignetsten / kompetentesten Person voraus: Es ist stets zu prüfen, welcher Mitarbeiter für welche Aufgabe fachlich (und u. U. persönlich) qualifiziert ist (Auswahlpflicht). Weiterhin besteht eine Anweisungspflicht, die darauf abzielt, den beauftragten Mitarbeiter entsprechend zu instruieren (Unterweisungspflicht). Sollte ein Mitarbeiter zusätzliche Qualifikationen für die Erfüllung der an ihn delegierten Aufgabe benötigen, muss sichergestellt werden, dass er diese auch erhält, etwa durch Schulung oder Weiterbildung; dies gilt auch für weitere Ressourcen (Ausrüstungs- und Schulungspflicht). Darüber hinaus ist die Erfüllung der „abgetretenen“ Aufgaben durch den Delegierenden zu beaufsichtigen bzw. zu überwachen.
Delegationsschreiben und Bestellungsschreiben
Möchte man Pflichten delegieren, sollte zudem sichergestellt werden, dass Aufgaben sowie die damit zusammenhängenden spezifischen Verantwortungen und Kompetenzen klar benannt und geregelt sind. Zu diesem Zweck – aber insbesondere auch aus Dokumentationsgründen – sind Delegationsschreiben dringend anzuraten, in denen die übertragenen Aufgaben und Pflichten genau beschrieben sind. Während die Übertragung von Pflichten auf ein Mitglied des Leitungsorgans im Rahmen der Geschäftsverteilung erfolgt und beispielsweise in einer Geschäftsordnung festgeschrieben sein kann, sollten vertikale Pflichtendelegationen grundsätzlich mittels Delegationsschreiben dokumentiert werden.
Beauftragte eines Unternehmens, zum Beispiel für Arbeitssicherheit, Datenschutz oder Compliance, müssen ausdrücklich von der Geschäftsleitung bestellt werden. Eine Delegation an Beauftragte setzt damit immer zwingend ein Bestellungsschreiben voraus.
Kontrolle
Ist eine Pflicht delegiert worden, so wird aus der Ausführungspflicht eine Aufsichtspflicht des Delegierenden. Hat man als Leitungsorgan oder Führungskraft alle Erfordernisse einer wirksamen wie wirkungsvollen Delegation beachtet und erfüllt, ist es damit jedoch noch nicht getan: Es gilt weiterhin sicherzustellen, dass die konkret übertragenen Pflichten auch tatsächlich umgesetzt werden (Überwachungspflicht). Werden Aufgaben vertikal delegiert, sind demzufolge insbesondere wirksame Kontrollstrukturen einzurichten, die dazu geeignet sind, Fehlverhalten im Unternehmen zu verhindern bzw. frühzeitig aufzudecken und falls erforderlich abzustellen (Durchsetzungspflicht). Besonders vor diesem Hintergrund sollte bei der vertikalen Delegation zudem ein umfassender Informationsfluss durch Festlegung von Berichtswegen an die Geschäftsleitung gewährleistet sein.
Fazit
Die Festlegung der Organisationsstruktur dient als Gradmesser der (persönlichen) Haftungsrisiken für Unternehmen, Leitungsorgane sowie Führungskräfte und bestimmt, wie diese beherrscht und gemanagt werden können. Diese sind zwingend jedoch nicht nur in der Gründungs- und Aufbauphase eines Unternehmens, sondern regelmäßig zu hinterfragen, um insbesondere mittels Delegation ein effektives operatives Tagesgeschäft zu ermöglichen. Die Delegation von Aufgaben und Pflichten ist in der praktischen Umsetzung ein beliebtes Hilfsmittel und essenziell für einen erfolgreichen Geschäftsablauf. Festzuhalten bleibt allerdings: Zwar können durch horizontale oder vertikale Delegation das Arbeitspensum bzw. die Aufgabendichte aufseiten der Delegierenden verringert und damit ein Teil der Verantwortung „abgegeben“ werden, es bleibt jedoch zu beachten, dass selbst bei sorgfältiger Delegation die jeweilige Verantwortung nie ganz genommen werden kann – ein gewisses Restrisiko verbleibt stets auch bei noch so sorgfältiger Delegation. Gerade im Haftungsfall ist es immanent, die ordnungsgemäße Delegation auch nachweisen zu können – regelmäßig obliegt der Geschäftsleitung / dem Delegierenden hierfür die Darlegungs- und Beweislast, welcher nur durch Nachweis mittels sorgfältiger Dokumentation genügt werden kann.
Was für die Praxis gilt
Aufgrund der dargestellten Haftungsrisiken für Geschäftsleitung, Führungskräfte und Mitarbeiter mit Kontrollaufgaben sowie für das Unternehmen selbst ist es angeraten, bei der Delegation von Aufgaben mit äußerster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit vorzugehen. Rein praktisch empfiehlt es sich hierzu, die wichtigsten Grundsätze zu dokumentieren, etwa in einer Delegations- bzw. Beauftragten-Richtlinie. Überdies ist wichtig, alle übrigen Mitarbeiter über die Delegation von bestimmten Aufgaben und Pflichten zu unterrichten, insbesondere in ihrem jeweiligen Bereich – so kann effektive Kommunikation und Zusammenarbeit gefördert werden. Hinsichtlich der Erfüllung von Überwachungspflichten, ist es schließlich ratsam, Nachweise über in diesem Zusammenhang durchgeführten Kontrollen zu führen. Zu guter Letzt sollten regelmäßig Reviews durchgeführt werden, um die Effizienz von Pflichtendelegation sicherzustellen und diese bei Bedarf zu optimieren und anzupassen.