Eine Besonderheit des deutschen Schenkung- und Erbschaftsteuerrechts liegt in der Möglichkeit, mit Kunstwerken oder über private Kunstsammlungen bis zu 100 % Steuern zu sparen. Diese sog. „große Kunstbefreiung“ nutzen inzwischen viele Vermögende, da das einer der wenig verbliebenen Wege ist, große Vermögen steuerfrei an die nachfolgende Generation zu transferieren.
Kürzlich bestätigte der Bundesfinanzhof (BFH) die bisherige Praxis. Die Grundsatzentscheidung vom 12. Mai 2016 (II R 56/14, NJW 2016, 2765) klärte aber dankenswerterweise auch etliche Zweifelsfragen, weswegen für die Praxis endlich Rechtssicherheit besteht. Sammler sollten die Entscheidung zum Anlass nehmen, bestehende Strukturen, insbesondere Leih- und Kooperationsverträge mit Museen, zu überprüfen. Interessierte künftige Sammler sollten die Zusammensetzung ihres Vermögens überprüfen.
Bevor wir die wegweisende Entscheidung des BFH im Einzelnen vorstellen, kurz zum steuerlichen Hintergrund: „Steuerlich“ bezieht sich auf die Erbschaft- und Schenkungsteuer - nicht auf die Einkommensteuer. Wir kennen die „kleine Kunstbefreiung“, bei der 60 % des Wertes eines Kunstwerks steuerfrei bleiben. Darüber hinaus ist sogar eine vollständige Steuerbefreiung zu gewähren, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (sog. „große Kunstbefreiung“).
Der BFH hatte darüber zu entscheiden, ob der Erbe eines namhaften Dürener Industriellen dessen mit expressionistischen Malern bestückte Kunstsammlung im Wert von rund EUR 10 Millionen steuerfrei übernehmen durfte. Das Finanzamt Münster gewährte dem Erben nur die kleine Kunstbefreiung, weswegen dieser Einspruch einlegte und klagte. Die Sammlung des Vaters bestand aus 20 expressionistischen Werken. 4 Kunstwerke befanden sich kürzer als 20 Jahre vom Todeszeitpunkt des Vaters (Mitte Januar 2006) zurückgerechnet im Besitz der Familie und erfüllten deswegen die erste Voraussetzung der großen Kunstbefreiung nicht. Dieses sog. Adelsprivileg spricht dafür, frühzeitig eine Kunstsammlung anzulegen. Die zweite Voraussetzung der großen Kunstbefreiung besagt, dass ein Erbe die Kunstwerke den geltenden Bestimmungen der Denkmalspflege unterstellen muss. Ein eigentlich recht harmloses Verlangen. Der Sohn und Erbe schloss hierzu am 27. April 2006 einen Leih- und Kooperationsvertrag mit einer Stiftung ab. Diese betreibt ein Museum, das bereits im April 2007 einige der expressionistischen Gemälde ausstellte.
Die Stiftung bestätigte, dass die Erhaltung der Kunstwerke im öffentlichen Interesse liege und sie interessiert sei, die Bilder als Leihgabe für Forschungszwecke und für Ausstellungen auch in anderen Museen zu nutzen. Da weder das Museum noch die Stiftung die 15 Gemälde im Depot unterbringen konnten und auch andere Museen ein Platzproblem hatten, mussten etliche der Kunstwerke beim Sohn verbleiben. Der räumte aber der Stiftung in dem Leih- und Kooperationsvertrag das Recht ein, die bei ihm deponierten Kunstwerke während der zehnjährigen Vertragslaufzeit jederzeit anfordern zu können. Er verlangte von der Stiftung nur sicherzustellen, dass keine konservatorischen Bedenken bestünden und die Gemälde ausreichend versichert wurden.
Der BFH bestätigte die Rechtsauffassung des Sohnes: Ein Leih- und Kooperationsvertrag, der die erforderliche Zugänglichmachung für Forschung oder Volksbildung sichert, kann auch noch kurz nach der Schenkung oder dem Erbfall geschlossen werden. Es genügt dabei, dass ein Museum Kunstgegenstände jederzeit anfordern kann und dies auch tatsächlich umsetzt. Die Kunstgegenstände können zwischen den Ausstellungen beim Erben verbleiben, sodass das Museum die laufenden Kosten für die Aufbewahrung und deren konservatorische Pflege vermeiden kann.
Der BFH bestätigte auch, dass die erklärte Bereitschaft des Steuerpflichtigen zur Beachtung der geltenden Bestimmungen der Denkmalpflege für den Erhalt der großen Kunstbefreiung auch dann genügt, wenn den Kunstgegenständen die Denkmaleigenschaft nach Landesdenkmalschutzrecht fehlt. Damit ist die volle Steuerbefreiung insbesondere auch für moderne Kunst möglich, die nach vielen Landesgesetzen nicht dem Denkmalschutz unterliegen. In dem Entscheidungsfall waren konservatorische Verpflichtungen ausdrücklich Teil des vom Sohn abgeschlossenen Leih- und Kooperationsvertrags. Dies sollte zum Anlass genommen werden, bestehende Verträge zu prüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten.
Nur ein Gemälde fiel nicht unter die große Kunstbefreiung, da dieses von dem Sohn kurz nach dem Tod des Vaters noch in 2007 für EUR 2.000.000 verkauft worden war. Damit fehlte eine weitere Voraussetzung der großen Kunstbefreiung. Diese verlangt nämlich, dass Kunstwerke für mindestens 10 Jahre nach dem Übergang auf den Erben der Denkmalspflege unterstellt bleiben. Erst nach Ablauf dieser 10 Jahres Frist ist ein steuerfreier Verkauf möglich.
Der BFH stellte zudem auch klar, dass es im Schenkung- und Erbschaftsteuerrecht auf das einzelne Kunstwerk ankommt und nicht auf eine Sammlung. Das hat den Vorteil, dass Erben durchaus einzelne Kunstwerke bei entsprechender Marktlage verkaufen können, auch wenn damit die große Kunstbefreiung verloren geht und nur noch die kleine Kunstbefreiung eingreift.
Ansprechpartner
- Dr. Daniel Lehmann
- Dr. Ewald Volhard